Georges Kern: „Man darf nie zaudern”

Mit einer Kraft, die nur die Gezeiten hervorbringen, schlagen die Atlantikwellen an das Fundament des Hôtel du Palais Biarritz. Die Straßen sind erfüllt von einer Melange aus Sonnencreme, frischen Croissants und verbranntem Benzin. Man kann es förmlich riechen – das französische Küstenstädtchen ist wieder Gastgeber des Wheels-and-Waves-Festivals, Treffpunkt der internationalen Motorrad- und Surfszene. Der Hauch eines exklusiven Lebensgefühls von grenzenloser Freiheit und Unabhängigkeit weht vom Atlantik her über den Sandstrand. Breitling ist Partner der Veranstaltung, und CEO Georges Kern, der vor wenigen Minuten erst seinen Neoprenanzug abgestreift hat, setzt sich auf einen großen, mit Algen besetzten Stein. Die Augen des 60-jährigen Visionärs der Uhrenwelt leuchten – war man doch gerade noch gemeinsam im Wasser auf Wellenjagd. Das verbindet.

Herr Kern, Sie haben gerade eine Welle gesurft, gejubelt und vor Freude geschrien. Ist das der Georges Kern, den sonst nur Freunde so erleben?
Nein, das ist eine Seite an mir, die ich nicht verstecke. Es haben aber heute im Wasser ein paar Dinge hingehauen, die ich mir vorgenommen hatte. Und im Anschluss mit Surf-Legenden wie Jérémy Florès auf das Gelingen abzuklatschen, ist ein besonderer Moment. Eine Welle – und sei sie noch so klein – zu reiten, macht glücklich.
Die Geburtsstunde einer neuen Passion?
Nein, eher nicht, da sind meine Interessen anders gelagert. Aber als CEO der Marke, die hier als Partner dabei ist, kann ich ja nicht nach Biarritz kommen und nicht surfen. Was wäre ich für ein Gastgeber? Was wäre ich für ein CEO? Das ist ein Teil meines Selbstverständnisses und mein Markenbekenntnis. Wir machen das jetzt im fünften Jahr, und ich bin immer dabei. Stellen Sie sich vor, ich sitze in einem Café und schaue nur zu – nein, so entstehen keine Dinge. Gutes passiert, wenn man mittendrin ist.
Gibt es eine Parallele zwischen dem Surfen auf Wellen und dem Steuern eines Unternehmens wie Breitling?
Das Surfen ist an dieser Stelle eher ein Platzhalter. Es geht darum, die Idee zu haben, früh bei solchen gesellschaftlich relevanten Themen dabei zu sein – diese Themen zu setzen. Beim Surfen, beim Triathlon oder wie hier die Partnerschaft bei Wheels and Waves auszubauen. Es geht darum, eine Gemeinschaft zu schmieden. Das ist die Strategie, die Vision unserer Marke. Wir haben immer gesagt: Wir wollen die coole Alternative zu den konservativen, traditionellen Marken sein. Wir wollen eben nicht beim Tennis oder Golf sein – das sollen gerne die anderen machen.

Die Strategie scheint aufzugehen.
Ja, besonders effektiv mit Covid, als die Menschen begannen, den Begriff Luxus und das Verständnis davon neu zu definieren. Es ging plötzlich um „carpe diem“, den „neuen Luxus“ und um die Suche nach einem ganzheitlichen Lebensgefühl. Auf dem Meer sein, die Landschaft genießen, mit Freunden zusammen surfen gehen, gut essen, gemeinsam Fahrrad oder Motorrad fahren – das ist ein ganz anderer Luxus. Die Menschen sind auf der Suche nach einem Weg aus dem Hamsterrad. Raus aus all diesen Hiobsbotschaften, die wir jeden Morgen auf unseren News-Channels bekommen. Ich glaube, da hat sich die Gesellschaft verändert gegenüber dem traditionellen Luxus, den auch ich organisiert habe, über Jahre vor Covid.
Wie leben Sie Ihr ganz persönliches „carpe diem“?
Da bin ich ausgewogen und weiß, wo ich stehe. Ich habe im Leben viel Glück gehabt. Wenn ich jetzt meine Karriere Revue passieren lasse, würde ich sagen: Im Prinzip habe ich das Beste rausgeholt. Ich war ein mittelmäßiger Student, dennoch habe ich durch etwas Glück einen super Job bekommen – damals noch bei Kraft Jacobs Suchard im Bereich Schokolade und Kaffee. Der Bereich hat mich fasziniert. Dann bin ich in die Uhrenbranche gekommen, das war damals TAG Heuer. Und mit 36 Jahren hatte ich das Glück, CEO von IWC Schaffhausen zu werden, weil keiner damals die Marke übernehmen wollte. Eine Mini-Marke in diesem großen Richemont-Konzern, aber mit einem gewaltigen Potenzial – da war ich mir sicher.
Was haben Sie rückblickend aus der Zeit gelernt?
Man muss zugreifen, wenn sich Chancen auftun – nie zaudern. Wenn ein Zug vorbeifährt, muss man aufspringen – und fährt er noch so schnell. Nun, und dann kam wieder das Glück mit Breitling, als mich die Investoren kontaktierten. Ich sagte zu, und sie haben mich machen lassen. Das eröffnete mir die Möglichkeit, mich finanziell zu beteiligen, und letztlich die Chance, selbst Unternehmer zu werden.

Geld als Antrieb?
Nein, ich brauche ja nicht mehr zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Geld treibt mich nicht an. Ich mache es, weil es mir Spaß macht, weil ich loyal gegenüber meinen knapp 250 Investoren und all den Mitarbeitern bin und weil wir gemeinsam noch viel vorhaben. Und: weil ich in einer fantastischen Branche arbeite, in der wir das Resultat unserer Arbeit physisch und emotional direkt erleben können. Wir machen keine IT, wir sind keine Bank, wir füllen Lebenswelten und erfüllen Träume.
Sind Emotionen der Schlüssel zum Erfolg von Breitling?
Sie können heute kein Luxusgut mehr ohne eine emotionale Geschichte verkaufen. Ein Produkt über Technologie oder Tradition an den Kunden bringen zu wollen, reicht nicht mehr. Denn ganz offen gesagt: Kein Mensch braucht eine analoge Uhr in diesem Preissegment. Also, warum kauft man sie? Man liebt die Ästhetik, fühlt sich von den Markenwerten angesprochen, findet sich in der Story wieder und schätzt die Menschen, die auch so eine Uhr besitzen. Das Produkt wird ein Freund, ein Partner in Crime. Bis diese Verbindung gefestigt ist, dauert es aber. Wir haben das ausgerechnet: Im Schnitt brauchen wir sechs Kontakte – in welcher Form auch immer, über Social Media oder über Kundengespräche –, bis wir eine Uhr verkaufen. Und da liegt der Durchschnittspreis dann bei 7200 Euro.
Sie haben mit Breitling die traditionsreiche Marke Universal Genève für 65 Millionen Franken erworben. Werden da Emotionen für den Erfolg ausreichen?
Ich würde denken: ja. Kürzlich sprach mich auf einer Messe ein Kunde an und sagte: „Universal Genève wird endlich wieder eine hochemotionale Marke. Sie wird von den Leuten nicht gekauft, weil sie sich uniformieren wollen. Sie werden sie kaufen, weil sie emotional berührt wurden.“ Das war für mich ein starkes Kompliment.

So einfach ist es also: Emotionen draufladen und fertig?
Nein, so einfach ist es nicht. Ich vergleiche unser Geschäft gerne mit dem Kochen. Man kann zwar alles wissen und jedes Gramm Salz oder Pfeffer oder die anderen Zutaten abmessen. Aber den Unterschied macht dann die individuelle Qualität des Koches. Vieles passiert intuitiv. Man sitzt vor den Töpfen und tut die Zutaten rein. Am Ende schmeckt es – oder es schmeckt nicht. Und bei uns schmeckt es. Seit 25 Jahren stellt man mir die Frage: Wie machen Sie Marken so erfolgreich? Es gibt aber keine Checkliste oder gar ein Rezept. Wenn es so etwas gäbe, dann würde es ja jeder machen können.
Und wie verhält es sich mit dem Produkt, gibt es da ein Rezept?
Man braucht gute Designer und eine Person mit einer Vision und starkem Entscheidungswillen. Es geht ja nicht darum, den Zeiger etwas länger oder kürzer zu machen. Es braucht eine ganzheitliche Vorstellung von dem, was man erreichen möchte, und da muss einer entscheiden, was in den Topf kommt. Kreativität ist ja kein demokratischer Prozess.
Weiß jeder Mitarbeiter bei Breitling, wofür die Marke steht?
Das würde ich denken. Ich muss kein Briefing mehr machen. Die Marke ist so klar positioniert, die Identität so offensichtlich, dass es einfach ist, Dinge umzusetzen. Meine Mitarbeiter leben Breitling.
Dafür brauchte es jemanden, der klar führt.
Ja – und die Entscheidungen müssen für jeden nachvollziehbar sein. Ich hatte ein prägendes Erlebnis bei der ersten Uhrenmarke, für die ich arbeitete. Ich war noch sehr jung. Wir waren auf der Messe in Basel, und ich präsentierte eine Damenuhr, für die ich mich starkgemacht hatte. Und ich war total enthusiastisch, komme rein, präsentiere das Produkt den Journalisten, und einer fragt mich: „Why did you do this?“ Wer soll die kaufen? Und wenn jemand so eine Frage stellt, ist es vorbei. Das war ein Killer.
Wie hat der junge Georges Kern darauf reagiert?
Ich war perplex und hatte keine echte Antwort. Ich fing an zu stottern und habe mir irgendetwas aus den Rippen geleiert. Die Uhr war am Ende auch ein Riesenflop. Seitdem frage ich mich immer: Why the hell do you do this? Darauf muss die Marke eine Antwort haben. Und: Die muss vom Designchef bis zum Praktikanten allen klar sein. Dann wird es auch der Kunde verstehen.

Wie viel Mut brauchte es 2017, Breitling zu übernehmen?
Das müssen andere beurteilen – für mich war es klar. Ich wollte nicht mehr im Konzern arbeiten. Zu viel Politik, zu enger Entscheidungshorizont. Ich habe bei Richemont die ganze Division geleitet, war der Chef der CEOs. So zu führen, entspricht nicht meinem Charakter. Und Breitling war damals die einzige und letzte große unabhängige Marke, die es zu kaufen gab. Hinzu kam meine Überzeugung, es besser machen zu können. Aber dass es dann zu dieser regelrechten Explosion kam, damit konnte wohl niemand rechnen.
Im Jahr 2023 hat Breitling knapp die Umsatzgrenze von einer Milliarde Euro verfehlt. Wie wichtig sind solche Meilensteine?
Ich finde Ziele wichtig – für alle im Unternehmen, nicht nur für die Investoren. Man muss es sportlich sehen. Und als Sportler will man gewinnen, sich verbessern.
Die Zeiten werden schwieriger. Die Zahlen von vor zwei Jahren sind in weite Ferne gerückt. Was ist die Antwort eines Sportlers? So weitermachen?
Jein. Es wird Zeit, die nächste Stufe zu erklimmen. In der Gesellschaft verändert sich wieder etwas, und wir müssen uns weiterentwickeln. Von den vielen Marken gibt es nur noch sechs oder sieben, die laufen. Bei allen anderen reden wir über minus 30, minus 40 Prozent. Also keine Seitwärtsbewegung wie bei uns. Ich habe darauf eine Antwort. Und wenn wir diesen neuen Weg einschlagen, an den ich glaube, werden wir wachsen. Wir müssen immer in Bewegung bleiben: Stillstand ist der Tod einer Marke.
Glauben Sie, Geschichte wiederholt sich? Wird die Zeit kommen, in der einige Marken der Luxusuhrenindustrie eingehen?
Nein, das glaube ich nicht. Die meisten großen Marken sind in Gruppen verankert und werden anhaltend unter den Leistungserwartungen bleiben. Die Kraft des Konzerns zählt. Wir sind in einer Welt, in der es heißt: The winner takes it all. Insbesondere in einer globalisierten Geschmackswelt. Wir hören ja die gleiche Musik auf Spotify, schauen die gleichen Serien auf Netflix, uniformieren uns modisch. Ich glaube dennoch an Nischenprodukte, an Nischenmarken.
Eine kleine Analogie zum Wellenreiten: Wäre ein Börsengang von Breitling die nächste große Welle, die Sie surfen möchten?
Vorweg: Ich habe Gott sei Dank Investoren, die langfristig ausgerichtet sind. Erst lancieren wir im nächsten Jahr Universal Genève. Und bis wir die relevanten Mengen haben, wird das noch Zeit in Anspruch nehmen. Ich habe einen Börsengang am Ende nicht zu entscheiden und nehme an, was kommt. Es gibt aber meiner Ansicht nach durchaus Alternativen.
Sie selbst haben bereits ein Alternativprogramm. Sie haben erfolgreich den Film „Der Hund bleibt“ produziert. Wenn ich Patrick Swayze sage, denken Sie an Bodhi oder Johnny Castle?
Ah, ja, der eine trug ein Surfbrett, der andere die Melone. Beides gute Filme.
Swayze starb mit 57, hatte alles. Wann ist genug eigentlich genug?
Ich bin kürzlich 60 geworden und stelle mir eher die Frage: Was will ich auf keinen Fall mehr machen? Das ist für mich die relevante Frage. Man kann ja nicht nur unter einer Palme liegen. Ich bin überzeugt, dass qualitatives Leben auch mit Disziplin zu tun hat. Aber man soll – um Gottes willen – nicht mehr das machen, was man nicht mehr will. Ich gehe zu keinem Dinner mehr, wo ich nicht hingehen möchte. Das habe ich früher gemacht, als ich jung war und Kontakte wollte. Ich brauche das alles nicht mehr. Es ist essenziell, sich zu überlegen, was man mit der Zeit anfängt, die einem noch bleibt. Vielleicht bin ich noch bis 75 topfit und aktiv. Das sind dann noch 15 Mal Weihnachten. 15 Sommer. Was mache ich jetzt in diesen 15 Sommern und an diesen 15 Weihnachtsfesten?
Haben Sie darauf eine Antwort?
Absolut. Ich habe Projekte mit meinem Sohn, ich habe persönliche Projekte, ich habe zwei, drei berufliche Dinge, die ich unbedingt angehen möchte. Ich plane gerade die Umsetzung einiger Serien, die ich geschrieben habe. Nicht um Geld zu verdienen oder damit mir jemand auf die Schulter klopft, sondern um meiner Kreativität ein Ventil zu geben. Und ich mache es etwas anders: Ich schreibe das Treatment, suche das richtige Team, finanziere selbst, hole mir die Schauspieler, hole mir die Regisseure und gehe mit dem ganzen Paket zu den Produktionsfirmen, um es umzusetzen. Das ist Ausdruck meiner maximalen persönlichen Freiheit: Ich muss mit niemandem mehr Diskussionen führen.