Mit dieser Uhr stellt Vacheron Constantin Weltrekorde auf

Tourbillon, Minutenrepetition, ewiger Kalender – Vacheron Constantin jagt regelmäßig Weltrekorden hinterher. Wieso sich die Manufaktur mit ihrem neuen Uhrenmodell selbst übertroffen hat.
Text Antje Heepmann
Unikat: Die „Les Cabinotiers Solaria Ultra Grande Complication – La Première“ wurde erst einmal gefertigt.

Wer sich überaus komplexen Fragestellungen widmet, braucht eine hohe Resilienz. Je komplizierter, desto höher die Chance, zu scheitern. Je komplizierter, desto teurer. Je komplizierter, desto länger dauert alles. Und es begleitet einen die tägliche Frage nach Sinn und Unsinn. In der Welt der Luxusuhren gibt es eine Manufaktur, die seit jeher eine überaus hohe Resilienz gezeigt hat und offenbar auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit eine ganz eigene Antwort gefunden hat: Vacheron Constantin. Da stellt sich der Beobachter eine Frage: Weshalb beharrt Vacheron Constantin eigentlich so hartnäckig auf dem Superlativ und dem Streben nach Perfektion? Und das ununterbrochen seit 270 Jahren. Oder anders gefragt: Weshalb tut man sich eine Uhr wie die „Les Cabinotiers Solaria Ultra Grande Complication – La Première“ an? Denn hier geht es nicht um einen „schnöden“ Zeitmesser, sondern um einen hochkomplexen Weltrekord. Der bislang allerdings erst in einem Exemplar realisiert wurde.

An dieser Uhr wurde acht Jahre lang gearbeitet

Acht Jahre lang arbeitete ein einziger Uhrmachermeister an der Weltrekord-Uhr von Vacheron Constantin.

Nachdem der vielversprechende Name dieses Meisterwerks sich gesetzt hat, kann man sich diesem Zeitmesser mit Ruhe nähern. Die Anzeigen von 41 Komplikationen sowie die 1521 fein finissierten Komponenten des Uhrwerks sind die beeindruckenden Zahlen. Aber selbst Uhren-Kenner werden ohne uhrmacherische Ausbildung das perfekte Zusammenwirken der winzigen Teile in diesem mechanischen Miniaturwunderland nicht begreifen. Vacheron hat sich den Luxus geleistet, einen einzigen Meister für acht Jahre abzustellen, um Gehäuse und Uhrwerksarchitektur zu erdenken, zu entwickeln und zu bauen. Zur Erinnerung: Es geht bislang um ein Einzelstück mit unbekanntem Preis.

Dafür bedarf es neben monetären Kapazitäten viel Resilienz. Man könnte es auch als unbeirrbares Streben nach Vollendung bezeichnen – oder unternehmerischen Wahnsinn. Was steckt dahinter? Hoffnung auf einen Verkaufsschlager? Eher nicht. Viele Abnehmer wird die Manufaktur kaum finden. Produziert wird nur auf Bestellung – und vermutlich gegen Vorkasse. Mehr Prestige? Wahrscheinlich. Und ein Talking-Piece wie die „Solaria“ sorgt zumindest vorübergehend für mediale Präsenz. Das hätte man aber einfacher – und kommerzieller – haben können.

Die Marke macht fast eine Milliarde Umsatz

Das Uhrwerk der „Les Cabinotiers Solaria Ultra Grande Complication – La Première“ besteht aus 1521 Komponenten.

Wie das geht, macht Rolex – Branchenprimus und Volumen-Erster in der Welt der Luxusuhren – seit Jahren erfolgreich vor. Gemäß den Schätzungen von Morgan Stanley und Luxe-Consult sind es 1,2 Millionen Uhren pro Jahr, die die Produktions- und Montagestätten der Marke in alle Welt verlassen. Zur Einordnung: Im Jahr 2024 exportierte die gesamte Schweizer Uhrenindustrie knapp 5,4 Millionen mechanische Zeitmesser. Mehr als jeder Vierte trug also die Krone auf dem Zifferblatt. Der Rolex-Umsatz im vergangenen Jahr soll übrigens bei rund zehn Milliarden Schweizer Franken gelegen haben. Vacheron Constantin steht vor der Eine-Milliarde-Grenze.

Ehre, wem Ehre gebührt. Rolex macht einen fantastischen Job. Vacheron Constantin macht einen anderen. Umsatz- und mengenmäßig spielt man zwar in einer anderen Liga, aber das soll den Perfektionisten unter den Uhrenliebhabern nur recht sein. Denn bei der 1755 gegründeten Manufaktur können sie sich des permanenten Strebens nach uhrmacherischer und ästhetischer Sorgfalt bis zur letzten Schraube sicher sein. Denn Vacherons Leitspruch ist keine Phrase: „Faire mieux si possible, ce qui est toujours possible.“ Frei übersetzt: „Besser machen, was sich besser machen lässt.“ Weltrekorde und Superlative sind somit ein Faible des Unternehmens. Und zwar von Beginn an. Ob Tourbillon, astronomische Komplikation, tönendes Schlagwerk, ewiger Kalender oder Chronograf, ob raffinierte Skelettierung oder extraflaches Kaliber – einfach hat es sich Vacheron Constantin nie gemacht.

Vacheron Constantin stellt Weltrekorde auf

Entworfen wurde das Manufakturgebäude in Plan-les-Ouates bei Genf vom Architekten Bernard Tschumi. 

Bei den Weltrekorden geht es niemals um schneller, weiter oder höher, sondern um präziser, komplizierter und schöner. Da wäre die „The Berkley Grand Complication“ von 2024 mit 63 Komplikationen. Damit übertraf Vacheron Constantin den eigenen Rekord von 2015. Rekordverdächtig war im Jahr 2017 die „Celestia Astronomical Grand Complication“, ausgestattet mit 23 Komplikationen und einer dreiwöchigen Gangreserve. Doch welches endlich lebende Wesen benötigt zum Beispiel einen ewigen Kalender? Dieses immerwährende Kalendarium, welches die unterschiedlichen Monatslängen bis zum Jahr 2100 berücksichtigt, Schaltjahre inklusive. Und dennoch: Als Kenner möchte man eine mechanische Uhr mit ebensolcher Komplikation besitzen. Genauso wie mit einer wohlklingenden Minutenrepetition, einem Schleppzeigerchronografen, einem Tourbillon und einer Weltzeitanzeige. Benötigt kein Mensch. Richtig. Aber wer fährt seinen Porsche regelmäßig auf der Rennstrecke? Wenige. Die Freude an der Wochenendausfahrt ins Grüne schmälert das bei den anderen Eigentümern kaum. 

Um den Nutzen geht es bei einer herkömmlichen Uhr ohne Notification, Bezahlfunktion und Trainingsassistenz ohnehin schon lange nicht mehr. Es geht – je nach Trägertyp – um Image, Optik und technische Raffinesse. Es geht auch um das Gefühl der Perfektion am Handgelenk, um etwas, das im wahrsten Sinne des Wortes zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk läuft. Trägt man das richtige Exemplar am Handgelenk, findet die Perfektionistenseele ihre Ruhe.

In Genf fertigt man Haute Horlogerie

Rund 30.000 Uhren werden bei Vacheron Constantin jährlich produziert.

Für sie ist eine Manufaktur wie Vacheron Constantin die Insel der Glückseligkeit, auf der man sich aus hektischen und unsicheren Zeiten in die gesicherte Hängematte der virtuosen Uhrmacherei fallen lassen kann. Hinzu kommt die ästhetische Expertise. Egal wie viele Komplikationen es auch sind, alle Anzeigen scheinen genau am richtigen Platz zu sein. Harmonie und Ordnung herrschen auch auf dem vollsten Zifferblatt. Das ist ein wenig so wie der beruhigende Blick auf die perfekt gestapelte Orangenpyramide oder das nach Farben sortierte Bücherregal. Nur dass es bei Uhrenmanufakturen à la Vacheron Constantin um so technisch anspruchsvolle Dinge wie Gezeitenanzeige und astronomische Vorhersagen geht – auch das bietet die Weltrekord-Uhr „Solaria“. 

Die Genfer Manufaktur ist längst in den kompliziertesten Sphären der Uhrmacherei angekommen und besetzt einen Platz in der obersten Etage des Elfenbeinturms der Haute Horlogerie. Hier etabliert, gibt es keinen entschuldbaren Weg zurück, keine Erklärung für Abstriche bei der selbst gepriesenen Exzellenz. Diese Getriebenheit freut Mechanikliebhaber ungemein. Denn Vacheron Constantin muss sich immer wieder selbst übertreffen. Der nächste Weltrekord ist vermutlich längst in Arbeit.

Aber eine Unperfektion muss selbst Vacheron Constantin akzeptieren: Trotz höchster technischer Expertise muss auch ihr ewiger Kalender aufgrund der komplizierten Schaltjahrausnahmen des gregorianischen Kalenders im Jahr 2100 korrigiert werden. Bislang vermag nur die „Portugieser Eternal Calendar“ von IWC Schaffhausen mittels eines 400-Jahre-Zahnrades diese Besonderheit zu berücksichtigen. Möglicherweise wird dies Vacheron Constantin zu neuen Meisterleistungen antreiben – alles eine Frage der Resilienz.