Endurance 22: Die zweite Chance für Indiana Jones

2019 scheiterte Unterwasserforscher Mensun Bound bei einer der wichtigsten Missionen seines Lebens. Jetzt erhält er erneut die Chance, eines der legendärsten Wracks der Geschichte zu entdecken.
Text Rüdiger Sturm
Einzigartige Wrack-Expedition im Eis des 2,8 Millionen Quadratkilometer weiten Weddellmeeres

31. Januar 2022, Capetown, Südafrika. Mensun Bound ist unruhig. Der Brite mit den strubbeligen grauen Haaren und gütigen Augen steht im Norddock des Hafens und blickt die gigantischen Formen eines Eisbrechers hoch. Er möchte endlich an Bord, doch er muss noch drei Stunden warten. Denn zuerst wird das Schiff mit dem Treibstoff für zwei Helikopter beladen.

„Die feindlichste Ecke der Welt“

Mensun Bound: „Ich trage in mir ein ständiges Gefühl von Traurigkeit, dass wir die Endurance 2019 nicht gefunden haben.“

Die Ungeduld des 69jährigen ist verständlich. Bound gilt als einer der renommiertesten Meeresarchäologen der Welt, wurde vom Doku-Sender Discovery Channel als „Indiana Jones der Tiefsee“ betitelt. Doch vor drei Jahren erlitt er eine empfindliche Niederlage. Damals wollte er das ikonische Wrack der „Endurance“, des Schiffs des gescheiterten Polarforschers Ernest Shackleton finden, das am 21. November 1915 in der Antarktis gesunken war. 3000 Meter liegt es unter dem bis zu neun Meter dicken Packeis im Weddellmeer, der laut Bound „feindlichsten und unzugänglichsten Ecke der Welt“. Der Expedition war es gelungen, sich dem vermuteten Ort des Untergangs anzunähern, dessen genaue Koordinaten nicht bekannt sind. So hätte man auf die „möglicherweise größte Fluchtgeschichte der Menschheit“ (Bound) ein neues Licht werfen können. Doch dann ging ein so genanntes ‚Autonomes Unterwasserfahrzeug‘ verloren, mit dem das Wrack lokalisiert und gefilmt werden sollte. Gleichzeitig drohte das Packeis das Schiff der modernen Forscher einzuschließen. Bound und seinem Team blieb nichts anderes übrig, als „mit eingezogenem Schwanz“ die Rückfahrt anzutreten.

Rückkehr in das große Unbekannte

Der Eisbrecher Agulhas II – „eine Mischung aus Sherman-Panzer, Schweizer Soldatenmesser und Abrissbirne” (Mensun Bound)

Am 5. Februar, 1075 Tage nach dem ersten Versuch, bricht die internationale Expedition ein neues Mal auf. „Wir haben noch eine Rechnung offen,“ so Knowledge Bendu, einer der beiden Kapitäne des Eisbrechers Agulhas II, kämpferisch. Die Vorzeichen sind günstiger als beim letzten Mal. Denn beim ersten Versuch hat man den Bereich, in dem das Wrack liegen sollte, bereits eingegrenzt. Durch den Klimawandel ist das Eis durchlässiger geworden. Doch die Herausforderungen bleiben trotzdem enorm. Die Seekarten des Südpolarmeers, wo die Endurance sank, sind selbst im 21. Jahrhundert immer noch voller weißer Flecken, was Bound nicht begreifen kann: „Wir wissen mehr über die Ringe des Saturn als über den südlichen Ozean. Wir landen Sonden auf dem Mars, aber haben nicht den Grund des Weddellmeeres erforscht.“ 

Zwischen Covid-Gefahr und Eisbergen

Während der 13.700-Tonnen Eisbrecher Richtung Süden pflügt, muss sich die 64köpfige Crew momentan nur mit einem Problem herumschlagen. „Covid sucht die Korridore unseres Schiffs heim wie ein alter Vampir auf der Suche nach Blut,“ so Bound. Bislang sind keine Infektionen bekannt, aber tägliche Tests sind obligatorisch. Die Teilnehmer der Expedition verbringen so viel Zeit wie möglich in ihren Kabinen und tragen außerhalb Masken. Rund zwei Wochen soll der Mundschutz obligatorisch sein. Dann dürfte die Agulhas im Zielgebiet eintreffen.

Wenn nicht noch ein anderes Hindernis droht. Im letzten Juni hat sich ein 19 Seemeilen langes Eisschelf im Südpolarmeer losgelöst, das Richtung Norden driftet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es die Bahn des Schiffes kreuzt, ist gering, aber „wir werden ein wachsames Auge darauf richten,“ meint Bound. Sein Enthusiasmus ist davon unbeeinträchtigt: „Ich kann nicht versprechen, dass wir den Atem der Geschichte spüren, aber ich verspreche euch einen höllischen Trip.“

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