Mensun Bound: Der Schatz-Retter

Die Expedition zum Wrack der Endurance ist für Mensun Bound nur ein Kapitel in seiner Abenteuer-Karriere, die mitunter lebensgefährlich war. Der Weg des Archäologen kreuzte sich auch mit einem berühmt-berüchtigten deutschen Filmstar.
Text Rüdiger Sturm
Abgehärtet und noch immer energiegeladen nach 40 Jahren Expeditionen: Mensun Bound

Es gibt bessere Filme für ein erstes Date als „Aguirre, der Zorn Gottes“. Aber der Student Mensun Bound ging mit seiner großen Liebe in den Film über einen spanischen Konquistadoren, der seine Expedition in den Untergang führt. „Man hatte mir gesagt, ich würde Hauptdarsteller Klaus Kinski“ ähnlich sehen“, meint er rund 45 Jahre später. Und doch war das das ideale Programm für den Oxford-Stipendiaten und seine spätere Frau.

Unterwegs zu den Wracks der Weltmeere

Mensun Bound mit einem Portrait aus seinem Elternhaus auf den Falkland Inseln. Es zeigt Frank Worsley, den Kapitän des 1915 in der Antarktis gesunkenen Forschungsschiffs "Endurance".

Denn der heute 69jährige ist zu einem der großen Entdecker der Moderne geworden. Als Unterwasserarchäologe barg er zwischen 1981 und 1986 die Ladung eines Schiffes, das 600 v. Chr. vor der italienischen Insel Giglio gesunken war. Gut zehn Jahre später wagte er sich im südchinesischen Meer in eine Tiefe von 70 bis 80 Meter, die für archäologische Ausgrabungen bis dahin unerhört gewesen war. Dort lag eine vietnamesische Dschunke aus dem 15. Jahrhundert, in der sich Porzellanwaren von unschätzbarem historischen Wert befanden und die dank Bound jetzt sechs vietnamesische Museen füllen. Er lokalisierte das deutsche Schlachtschiff Admiral Graf Spee, das 1939 vor der Küste Uruguays versenkt worden war und hob eine der Kanonen. Auch fand er eines der Schiffe, das Admiral Nelson bei der legendären Schlacht von Trafalgar eingesetzt hatte. Seine Expeditionen über den Erdball führten ihn nach Mosambik und zu den Kapverden, zu den Shetland Inseln und nach Tunesien.

Odyssee durch einen Doppelkontinent

Mensun Bound mit der Flagge des Explorer’s Club, New York.

Doch was trieb ihn dabei an? Eigentlich war es nur ein Blick aus dem Fenster. Er wuchs auf den Falklandinseln auf, und wenn er morgens die Vorhänge seines Zimmers aufmachte, sah er im Hafen die Überreste von alten Segelbooten, die am Kap Hoorn zerschellt waren. „Wenn ich darüber kletterte, träumte ich von großen Seereisen.“ Prompt heuerte er nach dem Ende seiner Schulzeit als Kadett auf einem Dampfschiff an, weil der Eigner versprach, ihn auf eine Marineakademie zu schicken. Doch dann wurde das Schiff verkauft und das Versprechen galt nichts mehr. Mit seiner Sehnsucht nach der Ferne ließ sich Bound indes nicht bremsen. Mehrere amerikanische Universitäten hatten ihn angenommen, allerdings hatten seine Eltern kein Geld für die Reise. Weil ihn Südamerika immer fasziniert hatte, setzte er aufs Festland über und trampte von der Südspitze des Kontinents bis nach New York. „In meiner Unschuld dachte ich, wenn ich dahin komme, dann wird schon etwas passieren, damit ich auf die Uni kann.“ Und tatsächlich war eine Stiftung von seinen Abenteuern so beeindruckt, dass sie ihm ein Stipendium gab.

Seine Karriere in der Archäologie begann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Metropolitan Museum in New York, wo er seine Liebe zur griechischen Vasenmalerei entdeckte. Mitte der 70er landete er an der Oxford University, wo man ihn zehn Jahre später zum Leiter der ersten unterwasserarchäologischen Abteilung Englands ernannte.

Überlebenskampf in der Tiefe

Bei Bound's heutigen Expeditionen kommen hochmoderne Hilfsmittel zum Einsatz, wie das Unterwasser-ROV "Sabertooth".

Doch seine Tauchexpeditionen führten ihn auch an die Grenze von Leben und Tod.  Während der Ausgrabungen vor Giglio wurde das Wrack eines Nachts von Räubern heimgesucht. Als Mensun Bound und seine Frau Joanne am nächsten Tag den immensen Schaden bemerkten, waren sie so aufgewühlt, dass sie vergaßen, auf ihre Sauerstoffanzeige zu achten. Mit letzter Not retteten sie sich aus 50 Meter an die Oberfläche. Seitdem taucht Paar höchst ungern gemeinsam: „Denn wir machen uns zu viele Sorgen um den anderen.“

Noch kritischer lief es für Mensun Bound, als er die vietnamesische Dschunke entdeckte. Im Triumphgefühl verstrickte er sich mit seinem Sicherungsseil und konnte sich nur mühselig befreien. Doch weil der Aufstieg aus 80 Meter Tiefe nur über komplizierte Vorrichtungen möglich war, schaffte er es erst in letzter Sekunde zurück.

Wettlauf mit den Plünderern

Von einer Entdeckung, die die Fantasien des Publikums befeuert, blieb er weitgehend verschont: Gold. „Das bringt nichts als Ärger“. Einmal vor der Ostküste Afrikas stieß er dann doch auf einen solchen Schatz. „Wenn jemand außerhalb des Teams gewusst hätte, was wir da gefunden hatten, hätte man uns wohl die Kehlen durchgeschnitten.“ So lagerte man den kostbaren Fund zunächst unter den Fliesen des Schlafzimmerbodens und schmuggelte ihn schließlich in die Hauptstadt, um ihn der Regierung zu übergeben.

Bound sieht sich nicht als Schatzgräber, sondern als „Rettungsarchäologe“. Denn: „Die Situation in den Ozeanen ist völlig unkontrolliert. Jeder macht, was er will. Mir ging es darum, den Plünderern einen Schritt voraus zu sein und die Informationen, die in diesen Funden enthalten waren, zu bewahren.“

Die Tauchabenteuer unter Einsatz seines Lebens gehören für ihn mit 69 der Vergangenheit an. Zumal er vor einigen Jahren die größte körperliche Bedrohung seiner Laufbahn abwehren musste: den Krebs. Mit Tauchrobotern geht er stattdessen auf Suchfahrten in der Tiefsee.

Wahn, Hybris und Kinski

Mensun Bound in seinem Element

Zu Aguirre-Darsteller Klaus Kinski, mit dem man ihn seinerzeit verglich, hat er ein zwiespältiges Verhältnis: „Als ich den Film damals sah, war ich am Boden zerstört. Dieser Mann war so hässlich.“ Aber bei der ersten Expedition zum Wrack der Endurance erinnerte er sich an einen anderen Kinski-Film: „Als wir unseren Weg durch das Eis pflügten, war ein Element von Wahnsinn und Hybris mit dabei. In solchen Momenten dachte ich immer wieder an Fitzcarraldo, der sein Schiff über den Hügel ziehen lässt.“

 

 

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