Der Traum von der eigenen Insel

Eine unberührte Insel zu kaufen, ist nur der erste Schritt zum privaten Garten Eden. Der Ausbau verlangt dann jede Menge Geduld und Geld. Familie Dingman zeigt, wie es geht.
Text Mark Ellwood & Abigail Montanez

Betsy Dingman aus San Diego war schon immer eine Rebellin. Schon als Teenager zog sie zu Hause aus. „Weil ich so eine vorlaute Göre war“, gibt sie rückblickend zu. Schon bald fand sie sich als alleinerziehende Mutter wieder und verdiente ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen Jobs. Sie besaß einen Waschsalon, renovierte Häuser, sanierte ein Hotel mit 31 Zimmern. Diese Furchtlosigkeit und die Lust aufs Abenteuer brachten sie auch zu ihrem Blind Date mit einem Typen von der Wall Street: Michael Dingman. Er war 25 Jahre älter und stolz darauf, die Dinge immer auf seine eigene Art zu regeln. „Da war sofort ein Band zwischen uns“, erinnert sich Betsy. Heute blickt die 68-Jährige stolz auf eine jahrzehntelange Ehe, mehrere Kinder und ein Leben auf den Bahamas zurück. Während eines Mittagessens mit Freunden entschieden sich die Dingmans fast spontan für diesen weiteren Sprung ins Ungewisse.

Das Leben auf einer Insel ist anders

Die Aussicht von der Veranda schweift über den Exuma-Sund. Michael Dingman ließ alle Häuser hurrikansicher bauen.

Einer der Freunde besaß eine fast unbewohnte Insel, Little Pipe Cay. Dort standen ein paar Hütten, und die Gruppe war schon öfter für Barbecues hingesegelt. Es gab nur ein Problem, beklagte sich der Freund: Seine Frau hasste es dort. „Da sagte mein Mann: ‚Warum kaufen wir sie nicht?‘“, sagt Betsy. Doch der Kauf der Insel war nur der Beginn eines langen Abenteuers, das Teamarbeit, Geduld und ein Vermögen erforderte. Ihr Mann Michael starb 2017 im Alter von 86 Jahren. Doch Betsy lebt den Traum der beiden weiter, einen Traum, den viele teilen: die eigene Insel! Das Paar hat ein Stück tropisches Land in ein Luxusparadies verwandelt – die Edel-Version von Fantasy Island.

„Wenn du mitten in Videocalls sitzt, weiß niemand, wo du bist, solange du es nicht am Strand mit Palmen im Hintergrund machst“, sagt Edward de Mallet Morgan, der bei Estate Prestige Knight Frank für Premium-Immobilien zuständig ist. Er hat sich auf Inselhandel spezialisiert. „Nichts daran fühlt sich wie ein normales Leben an“, fügt er hinzu. Dieses Leben ist anders. Der Makler gerät ins Schwärmen: „Es ist friedlich und gut für die Seele.“ Betsys Mann Michael war vom Land verzaubert. „Die Bahamas? Das war er“, erinnert sich Betsy. „Er konnte auf sein Boot steigen und war frei.“ Michael wäre glücklich gewesen, sein Leben auf ihrer Yacht, der „Teel“, zu verbringen. Es gab nur ein Problem. „Mir wird auf See schlecht“, sagt Betsy lachend. „Wir sind auf den Bahamas! Aber alles, was ich will, ist, an Land zu kommen.“

Am Anfang gab es keinen Masterplan

Verlockendes Türkis: Das Meer und der Pool überzeugen farblich abgestimmt als entspannendes Ensemble.

Betsy erinnert sich, wie sie mit ihrem Mann bei Sonnenuntergang auf ihrer vor Anker liegenden Yacht saß. Nach dem Abendessen blickten sie auf das Land, das sie gerade erworben hatten. „Es gab keinen Masterplan“, gibt sie zu. Michael stürzte sich mit Begeisterung in das Projekt. Es dauerte drei Anläufe, bis sie einen Vorarbeiter fanden, der die enorme Aufgabe bewältigen konnte. Sie mussten den Meeresboden ausbaggern, damit der zwei Meter tiefe Kiel ihres Boots nicht auf Grund lief und um die Anlieferung von Baumaterial zu erleichtern. Sie bauten sogar provisorische Basketballplätze, damit die Arbeiter dort auch etwas in ihrer Freizeit unternehmen konnten.

Während Michael sich auf das Ingenieurwesen konzentrierte, leitete Betsy die Gestaltung des Außen- und Innenbereichs. Das Haus, so beschloss sie, sollte an die Uferhäuser in der Heimatstadt ihrer Mutter, Charleston, erinnern. Außerdem sollte es ebenso Elemente der Architektur der Bahamas vereinen. Bei jedem Detail blieb Betsy äußerst pragmatisch. So wählte sie zum Beispiel besonders lichtbeständige Stoffe. „Man muss Produkte kaufen, die mindestens 20 Jahre halten. Ich spreche von jeder einzelnen Schraube, von jedem Stück Holz“, erklärt sie. „Man darf sich nichts vormachen. Man muss seine Hausaufgaben machen.“

Bahamas sind besonders beliebt zum Inselkauf

Auf Little Pipe Cay hat Familie Dingman eine Hauptresidenz und vier Gästehäuser errichtet. Die Bahamas-Insel zählt zu den Exuma, einer Gruppe im Südosten.

Ihr Sohn David war etwa zwölf Jahre alt, als sie mit dem Projekt starteten. „Es war ein Abenteuer“, sagt er. „Um an einem solchen Ort etwas schaffen zu können, muss man verrückt genug sein, sich in all diese komplizierten Dinge zu verlieben.“ Seine Eltern waren genau diese Menschen: „Sie waren unzertrennlich und brachten ein komplettes Bau-Team auf die Insel. So errichteten sie etwas zwischen einem Luxus-Resort und einem Familienanwesen.“ Hier ist die faszinierende Kulisse der Bahamas besonders eindrucksvoll. „Man ist umgeben von sehr seichtem Wasser, mit Blau in unzähligen Schattierungen. Der Ausblick ist niemals gleich, es ist wie ein Bild, das sich ständig verändert.“

Tatsächlich gehören die Bahamas genau aus diesem Grund zu den beliebtesten Orten, um eine Insel zu kaufen – und auch, weil ein Privatflugzeug Miami in weniger als einer Stunde erreichen kann. Trotzdem gäbe es besondere Herausforderungen beim Bauen, erklärt Architekt Mike Sinesi vom New-England-Büro DSK. Er hat ein Dutzend solcher Projekte in der Region betreut. „Der Boden besteht eher aus Korallen und Sand. Es ist fast unmöglich, mit Zement zu arbeiten“, sagt er. „Die Bahamas sind in dieser Hinsicht einzigartig.“ Auf den Virgin Islands gibt es dieses Problem nicht. Dort ist der Boden steiniger und reicht bis ins Wasser hinab, was eine traditionellere Bauweise eher erlaubt.

Ryan West hat sich auf Inselausbau spezialisiert

Das Club-Zimmer ist der Treffpunkt der Familie. Die Bar stammt aus einem historischen Segelschiff.

Die beiden Inselgruppen dominieren den Markt für Privatinseln. Andere Länder verfügen zwar ebenfalls über reichlich geeignetes Land, doch einen privaten Rückzugsort zu bauen, ist dort oft kompliziert. Ein Beispiel ist Belize. Vor der Küste liegen zahlreiche unberührte Inseln. Aber das Ausbauen ist dort mittlerweile weitgehend verboten, um den Schutz der Meere zu fördern. Auch die Grenadinen, zu denen Mustique gehört, sind weniger gefragt als die Bahamas oder die Virgin Islands. „Dort ist das Anlanden von Material eine noch größere Herausforderung, da sie ein Stück weiter von den USA entfernt sind“, erklärt Sinesi. „Da überweist man nicht einfach Geld und dann passt es. Es braucht sehr viel Planung und Ideen, nur dann funktioniert es.“

Deshalb engagieren viele Eigentümer Ryan West, einen Marineingenieur, der schon für Sir Richard Branson beim Ausbau dessen Inseln tätig war. Heute führt West die Island Development Group. Sie hat sich darauf spezialisiert, Käufern bei genau solchen Projekten zu helfen. Der erste Schritt ist immer ein Masterplan für das potenzielle Objekt. Die Kosten dafür liegen zwischen 250.000 und 450.000 Euro, inklusive verschiedener Gutachter. In dieser Phase wird alles geprüft, von den lokalen Bauvorschriften über die Verfügbarkeit der Arbeitskräfte bis hin zur Umweltverträglichkeit oder den Untersuchungen des Meeresbodens und der Riffe bis zu 30 Meter vor der Küste. Ebenso entscheidend ist es in dieser Zeit, die Absichten der Eigentümer zu analysieren. „Manche lieben es eher zurückgezogen. Sie wollen einfach nur entspannen“, sagt er.

Bauphase dauert zwischen drei und fünf Jahren

Mit dem Privatflugzeug sind Gäste unter einer Stunde in Miami, Einkäufe werden mit dem Boot gebracht.

„Aber wir hatten auch schon eine extrem gesellige Familie. Die fuhren so ziemlich alles auf, bis hin zu einer DJ-Anlage, die hydraulisch aus dem Pool herausfährt, und einem riesigen LED-System, das sich um die ganze Treppe gewickelt hat.“ Als Nächstes erstellt West in der Regel ein Briefing für die Architekten: Er markiert beste Aussichtspunkte und Windrichtungen, schlägt Standorte für Mitarbeiterunterkünfte vor. Er weist auf die optimalen Strände hin, geschützt vor dem Wind, mit klarer Sicht. Auch die Planung von Wasseraufbereitung, Solarfeldern und Wirtschaftsgebäuden, wie einer Wäscherei, gehört dazu. Dann kalkuliert er mit einem Vermesser die Baukosten pro Quadratmeter. West arbeitet auch mit den lokalen Behörden zusammen, um Genehmigungen einzuholen. Erst wenn diese vorliegen, beginnt die Bauphase, die in der Regel drei bis fünf Jahre dauert. 

Sie startet mit dem Anlegen von Straßen für Bagger und anderes schweres Gerät. Größer bedeutet dabei nicht besser. Die meisten Familien, die eine Insel privat ausbauen, sollten von den größten Inseln Abstand nehmen und sich auf Flächen bis zu 20 Hektar konzentrieren. Andernfalls wird es logistisch und finanziell zu belastend, warnt der Makler Edward de Mallet Morgan. Die häufigsten Probleme bei solchen Projekten, sagt West, sind logistischer Natur: Werden Arbeiter jeden Tag per Fähre gebracht? Was passiert, wenn dieses Boot auf einmal ausfällt? Viele Materialien müssen aus aller Welt herangeschafft werden. Bangkirai- oder auch Ipe-Hölzer aus Indonesien sind zum Beispiel Standard, da sie sich in diesem Klima als besonders langlebig erweisen. 

Infrastruktur kostet genauso viel wie das Haus

Doch nichts kommt dem Moment gleich, als West an einem Dezembertag auf dem Dock eines Objekts stand, das beinahe fertiggestellt war. Er wollte die Arbeiten bis Weihnachten abschließen, damit der Kunde dort die Festtage verbringen konnte. Eine riesige handgefertigte Badewanne sollte schon seit einem Jahr geliefert werden. Endlich tauchte der Schlepper mit dem Herzstück des Hauptbades am Horizont auf. „Die Badewanne kam auf einem alten Ponton, der 15 Meter vor dem Dock voll Wasser lief und vor unseren Augen sank“, erinnert er sich. „Wir mussten Taucher holen, um das Wrack und die Wanne zu bergen. Aber wir haben es geschafft. Auch wenn das Team noch dabei war, die Wanne auszuwischen, als die Kunden von ihrem Boot an Land gingen.“

Ein weiterer Veteran der Inselentwicklung ist Thor Downing, der Architekt lebt auf den Virgin Islands. Er warnt: Man dürfe nicht davon ausgehen, dass sich Häuser direkt am Wasser errichten lassen. Viele Gesetze lehnen Bauvorhaben, die nahe an der Küstenlinie liegen, eher ab. Außerdem müsse man bedenken, dass unvorhersehbare Probleme selbst die bestdurchdachten Pläne durchkreuzen können. Downing erzählt von einem Projekt, bei dem die Bagger bereits nach 45 Zentimetern auf Felsen stießen. Das machte den Einsatz von Industrie-Großgeräten erforderlich, die importiert werden mussten. „30 Prozent des Budgets gingen für diese Erdarbeiten drauf“, sagt er. „Und die meisten Leute fallen vom Stuhl, wenn sie die Kosten hören. In der Regel gibt man für die Erschließung des Geländes genauso viel aus wie für das eigentliche Gebäude. Selbst die Infrastruktur für ein kleines Haus kostet etwa 17 Millionen Euro.“

Vor dem Kauf muss man die Insel erleben

Er verweist auf das Beispiel des italienischen Milliardärs Antonio Saladino. Der hat versucht, auf der Insel Canouan ein Pendant zu Mustique aufzubauen. Sein Vermögen wurde so stark beansprucht, dass er zwei weitere Milliardäre um Hilfe bitten musste, um das Projekt langfristig am Leben zu erhalten. Downing rät zudem davon ab, eine Insel zu erwerben, ohne zuvor eine Zeit lang dort verbracht zu haben: „Man muss erst einmal spüren, wie es dort ist, zu jeder Tages- und Nachtzeit.“ Sonst könne es passieren, dass man all dieses Geld investiert, nur um festzustellen, dass die Windverhältnisse unerträglich sind. „Es ist sehr selten, dass man einen Ort findet, von dem man nicht auf eine andere Insel blickt“, sagt er. „Und der Ausblick ist das zentrale Element, auf das wir hin planen.“ Downing ist in seiner Einschätzung nüchtern: „Das Wichtigste ist, die Komplexität einer unberührten Insel nie zu unterschätzen.“

Familie Dingman stimmt zu. „In der Realität werden Investitionen in alles, was man nicht einmal sieht, am Ende teurer, als man denkt“, sagt David. Er betont, dass seine Eltern in Infrastruktur bewusst überinvestiert haben, um die Insel zukunftssicher zu machen. Alle Gebäude auf Little Pipe Cay wurden deutlich über dem Meeresspiegel errichtet, um sie gegen Sturmfluten zu schützen. „Mein Vater liebte solche Dinge: Notstromgeneratoren für alles, eine Entsalzungsanlage, stabil wie ein Unimog. Er ließ sogar die Wände auskleiden, um sie schalldicht zu machen. Alle Gebäude, die er hier bauen ließ, sind hurrikansicher.“

Heute bietet Little Pipe Cay Platz für 22 Gäste

Auch Mutter Betsy hat sich ihren Enthusiasmus aus den Tagen des Ausbaus bewahrt. „Als Eigentümer darf man sich nicht einbilden, dass das Projekt ohne dich läuft. Dann scheiterst du“, sagt sie. „Mein Mann hat nie darauf gehört, was andere von ihm hielten, und viele dachten, wir wären verrückt. Das war uns völlig egal. Denn wenn man etwas Neues und anderes macht, gibt es kein Handbuch. Man erfindet es Schritt für Schritt selbst.“ Heute umfasst ihr Inseldomizil fünf Cottages mit elf Schlafzimmern und vierzehn Badezimmern. Es bietet genug Platz für 22 Gäste. Doch ganz fertiggestellt wurde es leider nicht: Michael erkrankte an Krebs, bevor er das letzte Gebäude, ein Kino, vollenden konnte.

Nach seiner Behandlung erlaubten die Ärzte Betsy, ihn nach Little Pipe Cay zu bringen, damit er sich erholen konnte. Michael, kein guter Schwimmer, hatte es stets vorgezogen, auf der Yacht zu bleiben, während Betsy mit den Söhnen im Meer planschte. „Aber ich nahm ihn mit ins Wasser. Er konnte treiben, und wir blieben drei Monate dort. Durch das leichte Schwimmen konnte er wieder Muskeln aufbauen“, erinnert sie sich. Michael erholte sich, blieb aber einige Jahre gebrechlich, bis er erneut an Krebs erkrankte und verstarb. Seine Beerdigung fand in der Kapelle auf Little Pipe Cay statt.

Die Insel hat einen Wert von 85 Millionen Euro

Die Insel befindet sich nun weiterhin in Familienbesitz. Vor einigen Jahren setzten die Dingmans sie kurz für über 85 Millionen Euro auf den Markt, entschieden sich jedoch um. Stattdessen wird die Insel heute, wenn die Familie sie nicht nutzt, gelegentlich an eine kleine, exklusive Klientel vermietet. „Wir erlauben anderen Familien, das zu erleben, was wir hier aufgebaut haben“, formuliert es Sohn David. Betsy hofft noch immer, das Kino eines Tages fertigzustellen. Der Inselmakler Edward de Mallet Morgan fasst den Antrieb der Familie Dingman, aber auch anderer Inselbesitzer wie folgt zusammen: „Verspüren Sie im Urlaub ständig den Drang, etwas Neues zu unternehmen, dann ist ein privates Eiland nichts für Sie.“ Er weiß: „Meine Kunden kaufen ihre Inseln eher, um sich von der Welt zurückzuziehen. Aber auch wegen des besonderen Wertes für das Familienleben.“