Wieso sind GMT-Uhren so begehrt?

New York, Rio, Tokio: GMT-Uhren stammen aus einer Zeit, in der Vielfliegerei ebenso exklusiv wie glamourös war. Doch warum sind sie heute weiterhin beliebt – und was hat sich seit den 1950ern getan?
Text Alexander Stilcken
Rolex hat den Begriff „GMT“ erstmals für diese Gattung Uhr verwendet.

Jede Zeit hat Berufe, die besonderen Respekt genießen. Aktuell sind das sicherlich Start-up-Unternehmer, vielleicht auch Klimaforscher und Wissenschaftler ganz allgemein. In den 1990ern und frühen 2000ern waren es noch Modeschöpfer, Werber, Pop-Autoren. Davor: Wall-Street-Jongleure wie der von Michael Douglas gespielte Gordon Gekko in „Wall Street“. Ein guter Freund sah den Film mindestens ein Dutzend Mal, fortan träumte er davon, Finanz-Jongleur und Hedgefonds-Gott zu werden. Doch lange bevor es uns beeindruckte, wenn jemand extrem vermögend oder berühmt war, die Welt schöner machte, sie veränderte oder zumindest erklärte, war die wohl größte Sehnsucht: unseren Planeten zu erkunden. Kaum ein Beruf war darum kurz nach dem Zweiten Weltkrieg so respektiert wie der des Piloten. 

Die erste GMT-Uhr stammt von Rolex

Uhren mit GMT-Funktion stammen aus einer Zeit, in der Vielfliegerei ebenso exklusiv wie glamourös war.

Es darf deshalb auch nicht verwundern, dass eine der berühmtesten Uhren und eine der beliebtesten Uhrenkomplikationen mit diesem Beruf eng verwoben ist: die aufgrund ihrer blau-roten Lünette „Pepsi“ gerufene Stahluhr, eine Rolex mit GMT-Funktion. Also eine Uhr, welche die Zeit in zwei Zeitzonen gleichzeitig anzeigt: „GMT“ ist die Abkürzung von „Greenwich Mean Time“, dem Zeitstandard, von dem sich alle anderen Ortszeiten ableiten. Die Geschichte dieses Modells wurde bereits unzählige Male erzählt: Rolex hat den Begriff „GMT“ erstmals für diese Gattung Uhr verwendet, doch schon im 19. Jahrhundert gab es Taschenuhren, die zwei verschiedene Uhrzeiten anzeigten – dies dann aber durch Verwendung von zwei separaten, gemeinsam verschalteten Uhrwerken. 

Die Ur-GMT-Master hat unterdes nur ein Uhrwerk und wurde in Zusammenarbeit mit Pan Am Airlines erdacht und 1954 präsentiert. Sie sollte Piloten und Crew der Fluggesellschaft dabei helfen, durch mehrere Zeitzonen zu fliegen und auf einen Blick sowohl die Uhrzeit am Abflugs- als auch am Ankunftsort zu sehen. Es war ein Zeitmesser für eine damals noch vergleichsweise winzige Gruppe Menschen: Kosmopoliten, Männer und Frauen also, deren Job sie um die Welt führte und wie ein einziges großes Abenteuer erschien. Heute wollen die unzähligen Kaufinteressierten nicht einfach nur das Prestige des aktuellen Nachfolger-Modells Rolex GMT-Master II, Referenz 126710BLRO, sie wollen auch diese Geschichte dazu.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Modelle wie die Tudor Pelagos FXD GMT verfügen über eine drehbare Lünette mit 24-Stunden-Anzeige.

Der Möchtegern-Pilot Frank William Abagnale aus dem Headerbild dieses Artikels, von Leonardo DiCaprio in „Catch Me If You Can“ gespielt, müsste dementsprechend eigentlich genau diese Uhr tragen und keine andere. Aber was ist mit jenen, die nicht Pilot sein wollen und trotzdem für Uhren mit mindestens einer weiteren Zeitzone schwärmen? Die dürfen es mit Goethe halten, dem unter anderem folgende Worte zugeschrieben werden: „Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.“ Sehr frei nach Goethe tragen nämlich die wenigsten tagtäglich eine GMT-Uhr, um zu wissen, wie spät es gerade daheim bei der Familie ist, sondern um das Gefühl von Weltläufigkeit am Arm zu haben. Weil wir doch alle immer auf irgendeiner Form von Reise sind.

Die Freude am Vielfliegen ist selbst den meisten HON-Status-Inhabern inzwischen vergangen, zu chaotisch die Zustände an zahlreichen Airports und zu unzuverlässig viele Airlines. Doch die Welt ist zugleich zusammengerückt, und eine GMT bringt jenseits des Jetsets mancherlei Vorteile mit sich: Eltern wissen, wie spät es gerade beim Nachwuchs im US-Austauschjahr ist. Der Vertriebsleiter kann ablesen, in welcher Zeitzone sich sein nächster interkontinentaler Zoom-Call befindet. Der Kick-off zum Superbowl, die Freischaltung eines neuen Kontingents, Karten für die nächste Beyoncé-Welttournee, der Anruf beim besten Freund am anderen Ende der Welt: Es gibt heute jenseits der Vielreiserei unzählige Möglichkeiten, eine GMT-Uhr zu nutzen.

GMT-Funktion ist bei Uhrensammlern beliebt

Entsprechend populär ist die Komplikation bei Uhrenfreunden, fast jede Marke hat mindestens ein Modell in der Kollektion, während Marken wie Rolex, Breitling oder auch Longines besonders stark geprägt sind von ihrem Engagement in diesem Segment. Ähnlich ist bei vielen Modellen die klassische Gestaltung von GMT-Uhren, die von der Rolex über die Grand Seiko SBGE295 hin zur Tudor Pelagos FXD GMT gepflegt wird: auf der drehbaren Lünette eine Anzeige von 24 Stunden sowie ein zweiter Stundenzeiger auf dem Zifferblatt, sodass sich bis zu drei verschiedene Zeitzonen einstellen lassen. Alternativ beschränken sich die als „GMT“ oder auch „Travel Time“ bezeichneten Modelle auf die Anzeige einer einzelnen weiteren Zeitzone durch einen zweiten Stundenzeiger – so wie es Vacheron Constantin in der Overseas-Kollektion und Patek Philippe unter anderem bei der Aquanaut-Reihe machen. Durch einen einfachen Drücker oder auch über die Krone lässt sich der zweite Stundenzeiger hier unkompliziert stellen. 

Auch die Kombination und Erweiterung der reinen Zeitzonen-Funktion mit Taucheruhr-Features, Jahreskalender-Funktion oder Chronographen ist inzwischen üblich. Wie sich die klassische Zwei-und-mehr-Zeitzonen-Funktion noch einmal ganz anders konstruieren lässt, zeigt das belgisch-schweizerische Independent-Label Ressence: Mit der „Type 2“ präsentierte Gründer Benoît Mintiens eine Uhr mit mechanischem Werk und einer sogenannten „eCrown“. Das Kaliber verwendet Solarzellen, um via App eingestellt zu werden, und zeigt zwei verschiedene Zeitzonen an. In diesem Jahr nun präsentierte er die „Type 7“, eine GMT-Uhr, die sich von der Konkurrenz dadurch abhebt, dass sie ölgefüllt ist, was jegliche Reflexionen auf dem Zifferblatt eliminiert und ihr einen ganz eigenen Look verleiht.

Neue Interpretationen der Komplikation

Einen klassischeren Weg hat man bei Parmigiani-Fleurier gewählt, gleichzeitig ist das Modell „Tonda PF GMT Rattrapante“ für das Genre ungewohnt puristisch: Das Zifferblatt ist hier sehr aufgeräumt, über einen Drücker in der Krone wird der zweite Stundenzeiger gesteuert. Die Heimatzeit wird bei diesem Modell von einem roségoldenen Zeiger angezeigt, der Gedanke ist hier: Zuhause ist für den Besitzer stets der liebste und somit wertvollste Ort. Audemars Piguet wiederum, ansonsten eher den Chronographen oder auch ewigen Kalendern zugewandt, hat die GMT-Funktion in einem extrem seltenen, futuristisch anmutenden Concept-Modell der „Royal Oak“ mit Schleppzeiger-Chronograph untergebracht. Auch wenn sich also unser Verhältnis zum Reisen über die Jahrzehnte geändert haben mag: Das Fernweh bleibt, und die Geschichte dieser Uhrengattung ist noch lange nicht zu Ende erzählt.