Patricia Urquiola Die erste Yacht ihrer Art
Es schüttet wie aus Eimern an diesem frühherbstlichen Morgen an der Côte d’Azur. Im Vieux Port von Cannes haben die Crews die sündhaft teuren Outdoormöbel auf den Außendecks abgedeckt, die Türen zu den Salons sind geschlossen. Aber hinter einer herrscht dafür reger Betrieb. Heute wird schließlich eine doppelte Weltpremiere zelebriert: Die italienische Werft Sanlorenzo zeigt erstmals ihre knapp 30 Meter lange SD96. Und Patricia Urquiola, weltweit gefeierte Architektin und Designerin, führt gleich potenzielle Kunden sowie Journalisten durch das erste von ihr gestaltete Yacht Interior. „Noch 15 Minuten, bitte“, sagt sie freundlich im Vorbeigehen. Zeit genug also, sich vorab allein einen kurzen Eindruck davon zu verschaffen, was die Marketingstrategen der ligurischen Werft im Vorfeld groß als prestigeträchtige Partnerschaft und Interior-Revolution angekündigt haben.
Im Salon der Yacht stehen unter anderem Möbel, die Urquiola für den italienischen Möbelhersteller Cassina entworfen hat. Helle Eichenstäbe bekleiden die Wände
An Steuerbord, also auf der rechten Seite des Salons, ersann Urquiola eine weitere Lösung, die im Yachting ihresgleichen sucht: Der Esstisch für bis zu zehn Gäste lässt sich bei Bedarf zusammenklappen und verschwindet komplett in einer lederbespannten Sitzbank vor den fast bodentiefen Scheiben. Das frei stehende Mobiliar im Salon stammt dagegen vornehmlich aus Urquiolas Tätigkeit für den italienischen Möbelhersteller Cassina, man entdeckt unter anderem das Beam Sofa von 2016 oder den neuen BackWing Armchair. Das verlegte Parkett hat die Designerin ursprünglich für die Firma Listone Giordano in Miralduolo di Torgiano entworfen.
Große Fenster uten den Salon mit viel Tageslicht. An Steuerbord steht eine lederbespannte Bank, in der — zusammengeklappt — der Esstisch verschwindet.
Geändert werden kann an der Einrichtung übrigens fast nichts, was so manchem Yachteigner befremdlich vorkommen wird. Denn bei Budgets im hohen einstelligen oder gar im zweistelligen Millionenbereich ist es normalerweise selbstverständlich, das Interior dem persönlichen Geschmack anzupassen. Hier nicht. Wer eine SD96 mit Urquiola-Design erwerben möchte, muss sie nahezu genau so kaufen, wie sie von der Spanierin ersonnen wurde. Lediglich die frei stehenden Möbel können getauscht werden, wobei: wenn schon Urquiola, dann auch richtig, oder? (Vor allem mit einem Gedanken an den Wiederverkaufswert im Hinterkopf.) „Ich wollte“, erklärt die Designerin später bei der Führung, „auf die Yacht gehen und mich selbst sehen.“
Eingefädelt wurde die ungewöhnliche Zusammenarbeit der Wahlmailänderin mit Sanlorenzo von Piero Lissoni, gleichfalls Designberühmtheit, Urquiolas ehemaligem Büropartner und inzwischen Art Director bei Sanlorenzo. Massimo Perotti, Vorstandsvorsitzender der börsennotierten Werft und deren Mehrheitseigner, dazu: „Ich wollte unbedingt einen femininen Touch in der Einrichtung. Und mit ihrer Fähigkeit, Schönheit mit Komfort zu kombinieren, sowie ihrem weltweit herausragenden Image schien mir Patricia Urquiola die ideale Wahl.“ Mit diesen Vorschusslorbeeren und sanftem Druck Lissonis ausgestattet stieg Urquiola schließlich in ihr erstes Yachtprojekt ein.Das maritime Ambiente ist indes kein Neuland für die 59-Jährige. Aufgewachsen in Asturien, erinnert sie sich noch an die stets bewegte See des Atlantiks. „Mein Vater und seine Freunde fuhren oft zum Fischen hinaus. Wellen waren allgegenwärtig, ich sehe sie immer noch vor mir.“ Ein Motiv, das auf dem Wandglas über dem Eignerbett zu sehen ist. „Alle Formen und Farben an Bord“, so Urquiola, „sind vom Meer inspiriert. Mein Ziel waren elegante Räume voller natürlicher Farben.“ Blau-, Grau- und Sandtöne sind dementsprechend genauso präsent wie die bereits erwähnte helle Eiche an den Wänden und auf dem Boden, der – leicht gewellt – sehr angenehm zu begehen ist.
Ein bisschen erinnert das Konzept durchaus an das ebenfalls von Urquiola gestaltete und im wahrsten Sinne ausgezeichnete Hotel Il Sereno am Comer See. Darauf angesprochen, stimmt sie (wenn auch zögerlich) zu: „Das Il Sereno ist sehr genau in sich abgestimmt. Dort gibt es kein Möbelstück und kein dekoratives Element zu viel und keines zu wenig. Hier auf der Yacht haben wir ebenfalls eine schöne Balance gefunden. Das Interior ist allerdings haptischer als im Hotel.“
Wer seinen Sundowner am Abend oder den Kaffee am Morgen im Freien genießen möchte, findet einen ruhigen, gemütlichen Platz im Bugbereich der SD96
Für die Gestaltung des Exteriors engagierte Sanlorenzo das Büro Zuccon International aus Rom, für die optimale Rumpfkonstruktion den französischen Konstrukteur Philippe Briand. Unter der Federführung von Bernardo Zuccon wahrte das Designstudio gekonnt die traditionellen Sanlorenzo-Linien – harmonisch, leicht sportlich, mit eher schmalen Fensterbändern – und vergrößerte die Freiflächen im Vergleich zum Vorgängermodell SD92 signifikant. In Kooperation mit Patricia Urquiola wirkte Zuccon auch dem Trend entgegen, das Exterior von möglichst vielen Fenstern dominieren zu lassen. Urquiola, die für den Rumpf der Baunummer ein warmes Grau aussuchte, gab den Tipp, die Rumpfscheiben doch mit einer Art Folie zu versehen. Diese lässt zumindest aus der Distanz die Scheiben fast verschwinden und den Rumpf so als einheitliche Fläche erscheinen.
Den Antrieb der SD96 besorgen zwei je 1015 Kilowatt starke Dieselmotoren von MTU. Sie bringen die 28,93 Meter lange, 7,60 Meter breite und 125 Tonnen schwere Konstruktion auf bis zu 19 Knoten Geschwindigkeit. Bei reduzierter Fahrweise von elf Knoten reichen die 15 700 Liter Kraftstoff in den Tanks für rund 1800 Seemeilen. Solche Distanzen sind mehr als genug für einen zweiwöchigen Urlaub. Und wer nicht verchartert, sondern selbst mit der SD96 unterwegs ist, dessen Yacht wird im Jahr wahrscheinlich auch nicht mehr bewegt.
Zuschlag Nummer eins für die erste von Patricia Urquiola mitgestaltete Yacht bekam übrigens ein deutscher Eigner. Für rund neun Millionen Euro.