Hotellerie trifft Philosophie: So funktioniert Gastfreundschaft am Tegernsee

Korbinian Kohler baut luxuriöse Hotels am Tegernsee. „Ich mag Menschen“, sagt der 54-Jährige, und sein Bekenntnis sagt eine Menge darüber aus, welche Ziele er als Unternehmer verfolgt. Was Platon mit seiner Idee von Gastfreundschaft zu tun hat? Lesen Sie selbst.
Text Martin Tschechne
Das Hotel Bachmair Weissach hat Korbinian Kohler vor zwölf Jahren gekauft.

Herr Kohler, wie lange brauchen Sie zum See? 

Vom Hotel Bachmair Weissach aus zehn Minuten zu Fuß. 

Genug Zeit zu philosophieren? 

Da gibt es andere Gelegenheiten. Aber grundsätzlich: Ja, es tut gut, sich Zeit zu nehmen, um zu reflektieren. Ich bemühe mich, mir solche Gelegenheiten zu öffnen, und das ist es auch, was wir unseren Gästen bieten wollen. 

Denn im Hauptberuf sind Sie – tja, welche Bezeichnung wäre die richtige? Vielleicht „Gastwirt“?

Wenn Sie mich noch eleganter ärgern wollen, schlagen Sie doch gleich „Gastronom“ vor. 

Wieso ärgert Sie das? 

Weil es eine so pompöse, prätentiöse Bezeichnung für einen bodenständigen Beruf ist. Außerdem treffen beide Bezeichnungen auf mich nicht zu. 

Was sind Sie dann? Sie betreiben mehrere Hotels am Tegernsee. Dazu ein Sanatorium, Strandbad, Reiterhof und viele weitere Expansionspläne in der Region – sind Sie ein Geostratege? 

Ich bin ein lokalpatriotischer Geostratege, jawohl! 

Erholung am Tegernsee: Die Weißach gibt dem Hotel seinen Namen.

Also ein Immobilienentwickler, der sich anschickt, den Tegernsee zu erobern. 

Nein, erobern würde bedeuten, dass man Machtansprüche hätte. Die habe ich überhaupt nicht. Ich komme von hier, und mir liegt was daran, dass der Tegernsee sich gut entwickelt. 

Vor zwölf Jahren haben Sie sich in ein Abenteuer gestürzt und das Bachmair Weissach gekauft. In welchem Zustand?

Desolat. 

Und Ihr eigener Zustand? 

Ich war hochgradig naiv und glaubte ernsthaft, dass ich etwas von Hotellerie und Gastronomie verstünde, nur weil ich in meinem Leben viel gereist bin. Allerdings hatte ich einen klaren Gedanken im Kopf, ein Lebensgefühl, das ich erzeugen will, und das hat sich im Laufe der Zeit nicht verändert. 

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Völlig klar, dass man sich in solcher Lage erst mal ein Hotel kauft. Nach dem Motto: Meinen liebsten Urlaubsort baue ich mir selbst...

Sie werden lachen, aber da ist was dran. Aus diesem Grund habe ich mich gegen die Bezeichnung Immobilienentwickler gesträubt: Ich habe bereits Immobilien übernommen, aufgewertet und weitergegeben; auch jetzt habe ich noch kleine Projekte nebenher – einfach weil es mir Spaß macht. Aber beim Bachmair Weissach? Nein. Ich war so berauscht von der neuen Tätigkeit, dass ich es einfach gemacht habe. 

Es war ein verdammt guter Zeitpunkt, zu dem Sie zugegriffen haben.

Absolut! Zurzeit ist diese Immobilienklasse sehr gefragt. Aber für mich kommt Verkauf nicht infrage. Ich wüsste gar nicht, was ich dann tun sollte. Denn zufälligerweise fordert diese Branche ein Bündel an Fähigkeiten, in denen ich vielleicht nicht Weltklasse bin, aber doch ganz ordentlich: Finanzen, Organisation und Gestaltung. Und ganz wichtig: Man muss Menschen mögen. Das gilt sowohl für Gäste als auch Mitarbeiter. Wenn man ein Menschen-Mensch ist, dann ist das eine geniale Branche. Insofern kann ich mich auf Aristoteles berufen und sagen: Ich habe mein Ding gefunden. 

Hoppla! Die Philosophie der alten Griechen als Basis für den Betrieb eines modernen Spa-Hotels in den bayerischen Bergen: Das ist ein kühner Sprung! 

Gar nicht so gewagt: Aristoteles war der Hauptprotagonist der Tugendethik. Und Tugendethik heißt: Weil jeder Mensch Fähigkeiten hat, also Tugenden, sollte es sein Ziel sein, sie auch optimal zu nutzen. Gerade gestern bin ich gefragt worden: Was würden Sie Ihrem 20-jährigen Ich für einen Rat geben? Meine Antwort ist: Korbinian, geh in die Hotellerie! 

Alles an seinem Platz: Interiordesign gehört zu Korbinian Kohlers Lieblingsaufgaben.

Lässt sich das auf andere übertragen? 

Ich würde auch anderen jungen Leuten raten: Schaut euch diese Branche genauer an! Vor allem wenn ihr Menschen mögt. Wer dann noch eine sehr gute Ausbildung hat und klar denken kann, hat kaum irgendwo so gute Chancen wie in der Hotellerie. 

Ihre Branche klagt über schlimme Personalnot, manche drohen daran einzugehen. Sie nicht. Wie stellen Sie das an? 

Vielleicht kümmern wir uns intensiver um unsere Mitarbeiter. Wir nehmen sie ernst. Wir haben eine Kantine, die sich nicht von den Restaurants unterscheidet. Wir geben Rabatt für Familie und Freunde, wer mehr als drei Jahre bei uns ist, der bekommt eine private Unfallversicherung, eine Krankenzusatzversicherung und einen Zuschuss zur Rente. 

Sie selbst stammen aus einer Unternehmerfamilie; ihr gehört die Papierfabrik in Gmund. Sie haben dort zehn Jahre lang im Management gearbeitet, haben ein hoch renommiertes Studium absolviert ... 

Das war ein MBA, zu dem sich drei Universitäten aus England, Frankreich und den USA zusammengeschlossen hatten. Eine tolle Erfahrung! Nur als ich dann eines Tages im Bachmair Weissach stand und gleich als Hoteldirektor – ich hatte das ja nie gelernt! Das war schon eine Selbstüberschätzung größeren Formates. 

Sein neuestes Projekt: Das Clubhaus, ein israelisches Grillrestaurant mit Seeterrasse.

Trotzdem wurde daraus eine Lebensaufgabe für Sie. Nur – wie kam jetzt Aristoteles ins Spiel?

Ein paar Jahre später. Es war eine extrem intensive Zeit, aber irgendwann hatte ich das Unternehmen hier so halbwegs im Griff; dann habe ich gemerkt: Du musst mal was für deinen Kopf tun. Erst wollte ich Psychologie studieren, das ist ja kein allzu großer Sprung für einen, der als Hotelier arbeitet. Dann brachte mich eine Freundin auf den Gedanken an Philosophie. An der LMU München entdeckte ich einen spannenden Studiengang. Der blieb zwar auf einen Ort beschränkt, aber immerhin ließ er in der Kombination seiner Fächer so etwas wie spannende Reisen erwarten: Philosophie, Politik und Wirtschaft.

Hat nicht Platon, der Lehrer des Aristoteles, mal eine Abhandlung mit dem Titel Das Gastmahl geschrieben?

Ja, aber stärker beeindruckt hat mich die politische Philosophie. Vor allem die Idee Platons, dass nur die besten Köpfe eines Landes den Staat führen sollten. 

Wollen Sie damit die Fähigkeiten der aktuellen Politik kritisieren – oder die Grundsätze unserer Verfassung kippen? 

Um Himmels willen, nein! Ich denke nur darüber nach, ob sich die unterschiedlichen Beiträge unterschiedlicher Menschen auch im Maß der formalen Teilhabe ausdrücken sollten. Die Frage lautet: Ist es richtig und gerecht, dass alle Bürger die gleiche Anzahl von Stimmen bei demokratischen Wahlen haben, nämlich eine? Oder sollten diejenigen, die mehr zur Gesellschaft beitragen, auch mehr Stimmrechte bekommen? 

Das Grundgesetz gibt darauf Antwort: Jeder erwachsene Bürger hat eine Stimme.

Aber was ist mit Kindern? Sollten die nicht von Geburt an ein Stimmrecht haben, zunächst vielleicht ausgeübt durch die Eltern? Immerhin ist es ihr Lebensweg, der durch heutige Entscheidungen vorgezeichnet wird. Oder das soziale Engagement – ich denke an die Krankenschwester und den Feuerwehrmann: Sollten die nicht mehr Anspruch auf Teilhabe bekommen als einer, der nichts zum Wohl der Gemeinschaft beiträgt?

Sind Sie selbst politisch aktiv? 

Ich bin Mitglied der CSU und sitze im Gemeinderat von Gmund. Dort habe ich eine Menge über die politische Praxis gelernt. Manchmal gibt es 19 Gegenstimmen gegen eine, nämlich meine, aber ich kann nur jeden ermutigen, sich in solchen Gremien zu engagieren: Da werden für Bürger wichtige Entscheidungen getroffen. 

Irgendwie sind Sie ein wirklich wetterfester Optimist.

Ja, das bin ich. Denn nichts bleibt, wie es ist. Und wenn uns jetzt der Krieg in der Ukraine bedrückt, die Inflation und die Rezession, in die wir wahrscheinlich reinlaufen: Das wird auch nicht so bleiben. Das wird wieder gut werden. Alles wird immer wieder gut. 

Für die Zeit bis dahin fehlen uns zum Glück nur Heublumenaufgüsse, Yoga, Meditation und ein gutes Gespräch?

Wir alle erleben viel Stress, wahrscheinlich mehr als je zuvor im Leben. Gerade jetzt brauchen die Menschen solche Hilfe mehr denn je. 

Und Ihre Gäste zahlen dafür 500 Euro pro Nacht? 

Mindestens.