Wie sich Tod's CEO für den Erhalt italienischer Wahrzeichen einsetzt

Der italienische Modeunternehmer Diego Della Valle hat Millionen für die Restaurierung des Kolosseums und der Mailänder Scala gespendet. Nun nimmt er sich der Handwerkskunst an.
Text Paul Croughton
Der Firmensitz von Tod's befindet sich in der Marche Region, im Landesinneren von Italien.

„Als ich jung war, haben wir einen Ausflug nach Rom gemacht und ich erinnere mich noch gut daran, wie beeindruckt ich vom Kolosseum war”, sagt Diego Della Valle in seinem Büro, das auch ziemlich beeindruckend ist – größer als ein Tennisplatz, von natürlichem Licht durchflutet und mit zeitgenössischer Kunst gefüllt. Es befindet sich in dem weitläufigen Fabrikkomplex von Tod's in Le Marche. „Das Kolosseum ist eines der Dinge im Leben, die eindrucksvoll sind, wenn man ein Kind ist und es bleiben, wenn man erwachsen ist."

Vielfältige Angebote auf dem Tod's Campus

Der moderne Campus beinhaltet eine Kindertagesstätte und eine Vorschule.

Tod's ist eine der bedeutendsten Modemarken Europas. Die Tod's-Gruppe, zu der der Schuh- und Accessoire-Hersteller Roger Vivier, die Lifestyle-Marke Hogan und das Bekleidungslabel Fay gehören, verzeichnete im ersten Halbjahr einen Umsatz von fast 623 Millionen Dollar, wovon 311 Millionen Dollar auf Tod's entfielen. Beides stellt ein Plus von über 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr dar. Im Jahr 2022 überschritt der Umsatz der Tod's Group 1,1 Milliarden Dollar – rund 10 Prozent mehr als vor der Pandemie.

Die Fabrik wurde von Della Valles dritter und aktueller Ehefrau, der Architektin Barbara Pistilli, entworfen und umfasst fast 1 Million Quadratmeter, mit 16 Hektar Garten. Sie ist so groß, dass Della Valles Vater, Dorino, ein Fahrrad benutzte, um sich fortzubewegen. Als vor etwa 25 Jahren mit dem Bau begonnen wurde, war der Campus eine der ersten Einrichtungen im Land, die Arbeit und Freizeit miteinander verband. Es gibt eine Kindertagesstätte und eine Vorschule mit einem Fitnessraum, ein Restaurant und ein Auditorium für Ausstellungen und Vorträge – alles kostenlos für die Mitarbeiter. Überall ist Kunst zu sehen, darunter eine Treppe von Ron Arad mit dem Namen „Wave” und ein Ferrari F33 Formel-1-Auto, das Michael Schumacher 1997 in der Weltmeisterschaft fuhr. Della Valle bekam es von seinem Freund Luca Cordero di Montezemolo, dem damaligen Vorsitzenden von Ferrari, geschenkt.

Della Valle finanziert Restaurierungen

Kunstwerke sind auf dem Tod's Campus allgegenwärtig. Hier: Treppe „Wave” von Designer Ron Arad.

„Wir haben ein gutes Arbeitsumfeld, umgeben von Natur. Drinnen arbeiten die Leute wie vor 100 Jahren”, sagt er über die Handwerker, die ihre Waren noch von Hand herstellen. „Das ist der große Unterschied zwischen uns und vielen anderen Marken, die eher Marketingunternehmen sind.” Er fährt fort: „Unser Unternehmen legt sehr viel Wert auf Lebensqualität. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter und die Region. Mit der Restaurierung des Kolosseums und der Scala unterstützen wir auch das Land. Natürlich haben wir die Verantwortung, Gewinn zu machen – wenn es keinen Gewinn gibt, muss der Chef gehen. Aber wir haben auch eine soziale Verantwortung. Ich bin sehr stolz, wenn ich etwas tue, das nicht nur mir und meiner Familie hilft, sondern allen.”

Tatsächlich hat Della Valle (oder DDV, wie er liebevoll genannt wird) im Jahr 2011 rund 28 Millionen Dollar für die Restaurierung des Kolosseums zugesagt, verteilt auf vier Phasen. Außerdem ist Tod's seit 2011 Mitglied der Stiftung Teatro alla Scala und hat ein ganzes Jahr lang die Kosten für die Produktionen des berühmten Mailänder Opernhauses übernommen. DDV hat auch Schulen gebaut und Gemeinschaftsprojekte in Fermo finanziert, der Region, in der sich die Fabrik befindet und in der er und sein jüngerer Bruder Andrea aufgewachsen sind. Heute besitzt DDV Immobilien in Capri, Mailand, New York, Miami und Paris sowie eine Motoryacht, die einst Präsident John F. Kennedy gehörte, einen Hubschrauber und eine Sammlung von Ferraris. Sein Privatvermögen wird auf 1,6 Milliarden Dollar geschätzt.

Tod's setzt auf Qualität und Zweckmäßigkeit

Ledermeister Tony Ripani arbeitet bereits seit 44 Jahren für Tod's.

„Wenn man superreich ist und nichts davon zurückgibt, ist man nichts.”, sagt er. Deshalb ermutigt er auch seine Freunde dazu, sich zu engagieren. „Es ist nicht wichtig, ob man Erster, Zweiter oder Dritter ist”, sagt er und klingt dabei wie ein philanthropischer Yoda. „Es ist wichtig, etwas zu tun.”

Tony Ripani, der Ledermeister von Tod's, hat einen Trick, und man merkt, dass er ihn schon oft angewendet hat: Er schüttet ein paar Tropfen Wasser auf die Gommino-Mokassins, die ihren Namen von den charakteristischen Gumminoppen an der Sohle haben. Dieser Schuh ist das Markenzeichen des Unternehmens und steht als Synonym für Tod's. Die Flüssigkeit perlt und rollt auf der Oberseite des Schuhs herum, ohne das Leder zu durchdringen. Dann tupft er seinen Finger in die Pfütze, reibt etwas davon in das Wildleder und hinterlässt einen dunklen Fleck. Der Sinn dieses Schauspiels ist es, die Qualität des wasserabweisenden Materials zu zeigen – nach wenigen Minuten ist der Fleck verschwunden und der Schuh wieder makellos. Ein Beweis dafür, dass man bei Tod's von Exzellenz und Zweckmäßigkeit besessen ist. Luxus muss hier einen Zweck haben.

Made in Italy steht für italienische Lebensart

Tod's ist weltberühmt für den Gommino, einen Mokassin mit Gumminoppen an der Sohle.

Ripani arbeitet seit 44 Jahren für das Unternehmen und ringt damit, in den Ruhestand zu gehen. Da er samstags oft mit Della Valle in die Fabrik kommt, um das Leder zu begutachten, hat man ihn überredet, unter der Woche zwei Nachmittage frei zu nehmen. Aber das ist eine Herausforderung: Der 76-Jährige mag seine Arbeit. Seine Frau mag ihn bei der Arbeit. Also hat er es nicht eilig, sich zu verabschieden. Nicht, solange es noch so viel zu lernen gibt, sagt er.

Jeder Mitarbeiter der 422 Tod's-Verkaufsstellen kennt Tony. Als Teil ihrer Ausbildung pilgern sie alle nach Le Marche, um dem Meister bei der Arbeit zuzusehen. Und während sie hier sind, tauchen sie in die italienische Lebensart ein: das Essen, das Wetter und den Stil. Man kann kein Lederprodukt verkaufen, ohne zu verstehen, wie das Material funktioniert. Und man kann kein italienisches Lederprodukt verkaufen, ohne den Lebensstil des Landes zu kennen. Denn einen Gommino oder eine Tasche von Tod's zu kaufen, bedeutet, sich ein kleines Stück italienische Lebensart zu kaufen. 

Der Gommino-Schuh als Markenzeichen

Liebe zum Detail: In der Fabrik wird sogar die Spitze eines Lederbandes von Hand bemalt.

Della Valles Großvater, Filippo, stellte in den frühen 1920er Jahren im Haus der Familie Schuhe von Hand her. Der Vater von DDV, Dorino, übernahm und baute eine kleine Fabrik auf, die für Einzelhändler wie Saks Fifth Avenue und Bergdorf Goodman produzierte. Diego trat 1975 in das Familienunternehmen ein und hatte einige Jahre später die Idee für einen Fahrerschuh auf Mokassinbasis, der den Komfort und die Leichtigkeit amerikanischer Kleidung mit italienischem Elan verbindet.

Gomminos werden seit vier Jahrzehnten von Hollywood-Stars und Wirtschaftsgrößen getragen: Von Gianni Agnelli bis hin zu Denzel Washington, Alexander Skarsgård und dem britischen Premierminister Rishi Sunak. Ich bitte Della Valle, ihre anhaltende Anziehungskraft zu erklären. „Viele Marken haben Produkte, um die sie Geschichten weben”, sagt er. „Die wahre Geschichte entsteht, wenn man ein ikonisches Produkt hat.”

Ikonische Produkte sind die Zukunft

Prototypen werden so lange angepasst, bis die Schuhleistenabteilung zufrieden ist.

„Meine Gomminos sind eine Ikone”, sagt er. „Die Hermès Birkin ist eine Ikone, genauso wie die Submariner Rolex, oder die Ray-Ban Aviator. Die Preise sind unterschiedlich: Die Aviator kostet 200 Euro, die Rolex 10.000 Euro. Aber beides sind Ikonen, weil die Produkte sehr stark sind, das Unternehmen sehr alt ist und es viele Geschichten über diese Produkte zu erzählen gibt. Denken Sie daran, wie viele Menschen die Ray-Ban Aviator tragen. In wie vielen Filmen sieht man Menschen mit einer Rolex-Uhr? Ikonen sind das Produkt eines Traumes.”

Er verrät, wieso Tod's erfolgreich ist, während andere Marken innerhalb von kurzer Zeit hoch gehandelt werden und dann wieder verschwinden. „Leute fragen inzwischen zu oft nach limitierten Produkten und Kollaborationen. Das verwässert das Geschäft, nicht wahr?", sagt er und lacht. „In vielen Stores wird nichts mehr verkauft.” Dieser Mangel an Inventar verärgere vor allem die wohlhabenden Kunden. „Ich denke, die Zukunft gehört den ikonischen Produkten. Das Prinzip ist einfach: Die Leute wollen Designs haben, die von Dauer sind. Die Produkte sollen nützlich und gleichzeitig hochwertig sein.”

Alle Schuhe entstehen in Handarbeit

Der Leistenmacher feilt einen Holzleisten ab, um die perfekte Passform zu erreichen.

Der Herstellungsprozess des Gommino beginnt mit dem Leder – und damit mit Tony. Es gibt eine ganze Abteilung für Prototypen, in der neue Ideen entwickelt und Entwürfe überarbeitet werden. Nichts geht in die Produktion, ohne dass das Team geprüft hat, ob man darin auch wirklich laufen kann. Es gibt Maschinen, die die Schuhe prüfen und pflichtbewusst Tausende von Schritten nachahmen. Andere stellen die Belastungspunkte verschiedener Materialien auf die Probe; es gibt sogar eine Maschine, die ermittelt, ob ein Stoff die Kleidung beschädigt, wenn er an ihr reibt. Wenn Zweifel an der Bequemlichkeit bestehen, wird der Prototyp auf die altmodische Art getestet: Man läuft mit einem neuen Schuh an einem Fuß durch die Fabrik und vergleicht ihn mit einem alten Schuh am anderen.

Wenn Änderungen erforderlich sind, geht das Design zurück an den Handwerker, der den Leisten herstellt, also die hölzerne Form, auf der der Schuh aufgebaut ist. Er kann nicht nur Millimeter einsparen, sondern auch mit Hilfe eines Harzes das Leder dehnen und verhindern, dass der Schuh beispielsweise an einer Zehe reibt. Der Prototyp wird so lange angepasst, bis die Schuhleistenabteilung zufrieden ist; dann wird er in Kunststoff nachgebildet, um von den Mitarbeitern in der Produktionslinie reproduziert zu werden. Dort bleibt das Verfahren gegenüber den vor Jahrzehnten eingeführten Techniken weitgehend unverändert. Während Leder heute sowohl maschinell oder per Laser zugeschnitten werden kann, entsteht der größte Teil der Konstruktion bei Tod's von Hand.

Della Valle bringt Generationen zusammen

In der Lederfabrik können Häute mehr als 50 Jahre lang gelagert werden, ohne an Qualität zu verlieren.

In der Lederfabrik befindet sich ein 37.000 Quadratmeter großer Raum, in dem alle Häute gelagert werden. Da die Feuchtigkeit regelmäßig kontrolliert wird, können sie dort mehr als 50 Jahre lang ohne Qualitätsverlust gelagert werden. Doch wer wird diese Rohstoffe im nächsten halben Jahrhundert verarbeiten? Heutzutage könnten die Schuhe von Robotern hergestellt werden, aber „die Qualität ist nicht dieselbe”, sagt DDV. Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, sind neue Handwerker erforderlich, aber die jungen Leute kehren diesem Beruf den Rücken, auf der Suche nach einem Job, den sie für profitabler oder prestigeträchtiger halten. „Die alten Leute sagen, dass die jungen Leute die Dörfer verlassen und die Dörfer langfristig aussterben”, sagt er. „Niemand hilft den alten Leuten. Es gibt viele soziale Probleme." 

Deshalb hat Della Valle vor einigen Jahren die Bottega dei Mestieri ins Leben gerufen, in der junge Praktikanten bei etablierten Meistern eine bezahlte Ferienausbildung  absolvieren können. „Es handelt sich um ein Projekt zur Unterstützung junger Arbeitnehmer und älterer Menschen, die kurz vor der Pensionierung stehen”, sagt Della Valle. „In diesem Fall geben die Jungen den Alten die Energie und die Alten den Jungen die Erfahrung. Es ist eine gute Mischung, eine Verbindung zwischen zwei verschiedenen Altersgruppen. Sie kochen sogar gemeinsam zu Mittag.” Nach der Probezeit entscheiden sich etwa 80 Prozent der Praktikanten für eine Weiterbeschäftigung; etwa 300 Mitarbeiter wurden auf diese Weise eingestellt.

Die Zukunft des Handwerksberufs

Francesco kam über ein Praktikum bei Tony Ripani zu Tod's.

DDV ist sich sicher, dass Italiens Jugend davon überzeugt werden kann, dass die Arbeit mit ihren Händen ein edler und lukrativer Beruf ist. Das alles ist Teil der Marke „Made in Italy”, die für die Luxusindustrie des Landes und für Della Valle persönlich so wichtig ist: Der Glaube, dass italienische Handwerkskunst mit ihrem jahrhundertealten Erbe nicht nur unantastbar, sondern geradezu göttlich geweiht ist. Das ist keine Marketingstrategie, sondern ein Glaubenssystem.

Aber wie einfach ist es, 20-Jährige davon zu überzeugen, nicht nach einer Karriere an der Wall Street oder im Silicon Valley zu streben, sondern stattdessen in einer Fabrik anzufangen? Francesco ist 27 Jahre alt und arbeitet seit sechs Jahren bei Tod's. Er begann als Lederschneider und seine Präzision beeindruckte Tony, der ihn in seinem Team haben wollte, aber keine freie Stelle hatte. Della Valle stellte ihn trotzdem ein. Warum Francesco diesen Beruf ausüben wollte? „Ich mag das Gefühl, mit Experten zu arbeiten, mich zu verbessern und ich war schon immer von Mode und Luxus fasziniert. Ich wollte sehen, wie die Produkte hergestellt werden”, sagt Francesco. Er ist in der Region aufgewachsen und hat an der Hochschule Mechanik studiert.

Francescos Freunde sind neugierig. Sie kennen die Schuhe der Marke und fragen immer, wie sie hergestellt werden. Bei der Generation Z und den Millennials wird Kunstfertigkeit zunehmend sexy. „Made in Italy” ist aktuell angesagt", sagt Della Valle. „In Italien ist der Sinn für das Handwerk sehr stark ausgeprägt, weil die Menschen mit einer großen Kultur aufgewachsen sind. Das ist in vielen anderen Ländern nicht normal. Ein Handwerker zu sein ist hier sehr unabhängig und sehr cool.” Was vielleicht ein Verlust für das Silicon Valley ist, ist ein Gewinn für Italien.