Mit dem Porsche durch Lappland: Das ultimative Fahrtraining

Bei der Porsche Ice Experience in Lappland hat jeder Sportwagenfan die Möglichkeit, seine Fahrkenntnisse zu trainieren – unter extremen Bedingungen. Wie es sich anfühlt, bei klirrender Kälte und Schnee an seine Grenzen zu kommen.
Text Tim Gutke

Jeder Schmerz hat seine ganz eigene Melodie. So klingt der Bohrer beim Zahnarzt völlig anders als das wütende Gebrüll einer Kneipenschlägerei – auch wenn es im Ergebnis bei beiden Ereignissen wohl um Zähne geht. Das Geräusch, wenn sich das Heck eines Porsche 911 seitlich in den Schneeberg presst, ist ebenfalls schmerzhaft, klingt aber völlig anders. Es ist ein kurzes Knarzen – wie eine alte Jolle unter vollem Wind –, ergänzt um das Geräusch einer schallenden Ohrfeige: Und so fühlt es sich auch an. 

Auch – oder ganz besonders – am Ende der Welt gilt es, sich zu optimieren. Survival of the Fittest, das am besten angepasste Individuum überlebt. Ich bin auf Optimierung aus, möchte in zwei Tagen meine fahrerischen Fähigkeiten verbessern. Hinter dem Steuer eines Porsche zu einem Meister des Drifts werden, zu einem Virtuosen zwischen Gas und Bremse. 

Und jetzt hänge ich seitlich in einer Schneewehe fest und bin dem Spott des Rudels ausgesetzt. „Vielleicht etwas zu ambitioniert, oder?“, höre ich Frank durch den Lautsprecher des Walkie-Talkies, das neben mir in der Mittelkonsole liegt, fragen. Frank, mein Instructor, richtet diesen Satz an mich, und er hat völlig recht, ich wollte wieder zu schnell zu viel. „Bitte warte im Auto, wir ziehen dich aus dem Schnee raus.“ Klar, ich warte. Was soll ich auch sonst tun, bei minus 19 Grad? 

Die Formel fürs Driften

Anfahren, anbremsen, einlenken: So funktioniert Driften in der Theorie.

Die Gemeinde Kittilä liegt in Nordlappland, etwa 170 Kilometer nördlich vom Polarkreis. Hier begann gestern meine Optimierungsreise. Im Land des scheinbar endlosen Schnees und der märchenhaften Polarlichter, hat Porsche Ice Experience sein Camp aufgeschlagen und in eine unwirtliche Landschaft Rennstrecken und Trainingsparcours gefräst – und viele aktuelle Modelle aus Zuffenhausen mitgebracht. Mit dem jährlichen Track-&-Snow-Event hat hier jeder Sportwagenfan die Chance, das Beste aus sich rauszuholen – also zumindest fahrerisch. Menschlich bin ich mir noch nicht so sicher. 

Anfahren, anbremsen, einlenken, Gas geben, gegenlenken, Gas halten, Lenkung halten. Und alles immer wieder korrigieren. Das ist zumindest die Formel zum Driften – mit vielen Unbekannten. Wer soll sich das bitte alles merken? Es geht um übersteuern, untersteuern, Lastwechsel, Laststoß, Allrad oder Heckantrieb und im Grunde geht es „nur“ darum, eine hohe Kurvengeschwindigkeit zu erreichen. Bei dem Manöver sollen die eingelenkten Vorderräder zur Kurvenaußenseite zeigen und die hinteren Räder dann einen höheren Schräglaufwinkel als die Vorderräder aufweisen. 

Von der Theorie in die Praxis

Es klingt knifflig, ist knifflig und treibt einem ab der zwanzigsten Wiederholung Tränen der Wut in die Augen. Dann nämlich, wenn die Theorie einem völlig klar ist, in der Praxis aber nichts hinhaut. Ich würde mich grundsätzlich für einen soliden Autofahrer halten und habe zumindest für viele Dinge, die sich bewegen lassen und gesteuert werden wollen, einen Führerschein. Boot, Motorrad, Auto. Aber beherrscht man damit die Dinge unter Druck und mit Geschwindigkeit wirklich? 

Als Frank Basler heute früh um zwanzig nach acht bei der Fahrerbesprechung alles noch einmal anhand von Charts und Kurvenskizzen erklärt hat, klang es in meinen Ohren auch fast zu einfach. Aber der Drift durch eine Kurve ist eine Kunst, das weiß ich jetzt. Es ist nicht die Art von Disco-Drehern, an die ich mich noch lebhaft erinnern kann, Tim – gerade 18 Jahre alt und mit Mutters rotem Polo Fox, 1 Liter Hubraum, unterwegs –, Lenkung rumreißend und Handbremse hochziehend, um die liebreizende Nele Schmidt aus dem Nachbarhaus zu beeindrucken. Die Show am Lehmweg 36 endete im Übrigen unkontrolliert mit beiden Stahlfelgen am Kantstein und gewaltigen Erklärungsnöten am heimischen Küchentisch. 

Das pure Fahrgefühl, ohne elektrische Helfer

Porsche Instructor Frank Basler erklärt, worauf es beim Driften ankommt.

Gut, hier habe ich zwei Tage Zeit, meine Fähigkeiten auszubauen – und anstelle von Kantsteinen gibt es nur Schnee. Es ist erstaunlich, zu welchen ungezähmten Maschinen 911er, Cayman, Taycan und Panamera werden, wenn alle elektronischen Helfer ausgeschaltet sind. Es ist das pure Fahren, die direkte Verbindung zwischen Mensch und Maschine, nichts steht dazwischen. „Beim Drift sind die Gewichtsverteilung und das Timing entscheidend“, sagt Frank. Ein Mittelmotor verhält sich dabei ganz anders als ein Aggregat, das im Heck verbaut ist. 

Ich bin nicht alleine in die Schneewüste von Kittilä gekommen. Unsere Karawane, bestehend aus zehn Fahrzeugen, zieht durch das verschneite Lappland. Die Porsche Driving Area ist gewaltig, auf dem 35 Hektar großen Areal sind überall kleine Gruppen unterwegs und trainieren das bessere Handling ihres Fahrzeugs. Bis zu 100 Porsche-Enthusiasten finden sich hier von Dezember bis April jede Woche ein. Unterschiedliche Modelle, Instructors und unterschiedlichste Tracks mit anderen Herausforderungen – es ist ein Spielplatz für Erwachsene. 

Teilnehmer kämpfen gegen extreme Bedingungen

Alle Trainingseinheiten absolvieren die Teilnehmer gemeinsam.

Immer wieder fräsen sich die kleinen Metallspikes in den Reifen durch das feste Eis des Tracks. Und immer wieder passieren mir andere Fehler mit dem gleichen Ergebnis – mein Drift ist ein Eiertanz zwischen Schneehügeln und neonfarbenen Pylonen. Das Einzige, was meine Laune irgendwie über Wasser, Verzeihung, Eis hält, ist der Blick aus dem Seitenfenster. Durch die aufgewirbelten Kristalle sehe ich die anderen Teilnehmer ähnlich hart mit den Bedingungen kämpfen wie ich. Zu spät eingelenkt. Zu wenig Gas. Zu viel Gas. Schlechtes Timing, und der Wagen bricht den Drift ab – oder aus. Es hilft nur ständiges Wiederholen. Timing verbessern, konzentrieren, Frank zuhören, das Fahrzeug und seine Bedürfnisse spüren. Hinfühlen.

Und so kann man das ausgerufene Motto der Veranstaltung wörtlich nehmen. Es lautet: „Sleep. Drift. Repeat.“ Man kann es nicht vergessen, überall begegnet es einem. Als Aufkleber an Wänden, auf den T-Shirts und Jacken. Es ist ein Mantra. Dabei kommt Sleep als Einziges ziemlich kurz. 

Endlich gelingt der perfekte Drift

Der zweite Tag beginnt um sieben Uhr mit einem kräftigen Frühstück im Fahrerhotel und dem anschließenden Shuttle zur Driving Area. Als die Sonne über die Baumwipfel zieht, erhellt ein außergewöhnliches Licht die Szenerie und die Laune. Eine enorme Energie drückt den letzten Schlaf aus den Poren. Ab in die Autos. Drift! Repeat! Besonders der Cayman macht einem die Sache leicht. Immer länger wird die Zeit, die ich den Drift auf der Strecke halten kann. Erst nur wenige Augenblicke, dann wenige Sekunden und plötzlich eine volle 180-Grad-Kurve. „Sensationell“, höre ich Frank durchs Walkie-Talkie rufen. Wetten würde ich darauf nicht, aber ich glaube, dass er mich meint. Es ist ein erhabenes Gefühl, endlich Herr über die Maschine zu sein. 

Erst Stille, man kann den Wind hinter der Scheibe singen hören, ein konstantes, unaufgeregtes Schleifen, ähnlich einer Stahlbürste auf einem Grillrost nach dem Winter. Dazu ein konzentriertes Glucksen des Fahrers, wie Bier, das langsam aus einer Flasche läuft. So, und nicht anders, klingt der perfekte Drift – das ist die Melodie des Erfolgs.