Die Andersdenker

Lexus. Ein Global Player, der unter den 20 größten japanischen Marken geführt wird. Nur in Europa fuhr die edle Toyota-Tochter jahrzehntelang zu Unrecht unter ferner liefen. Woran liegt das? Eine Annäherung.
Text Reinhard Sebastian Tromm
Der Lexus NX auf der Straße

Das Kind eines Frosches ist ein Frosch.“ Das japanische Sprichwort, das dem deutschen „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ entspricht, zeigt: Wörtliche Übersetzungen stoßen schnell an ihre Grenzen. Insbesondere wenn es um Japanisch geht. Die Nuancen, die eigentliche Bedeutung eines Wortes erschließen sich erst, wenn man einen Einblick in die japanische Kultur bekommt.

Lexus ist ein perfektes Beispiel. Wir könnten es uns leicht machen und den neuen Lexus NX in westliche Maßstäbe pressen. Nach einer Fahrt mit dem japanischen Crossover-Hybrid könnten wir schreiben, dass es sich um ein angenehmes Auto zum Reisen handelt. Dass es sich sehr gut in seinem Segment verkauft. 175000-mal. In den USA, in Russland und mit 1100 Neuzulassungen vergleichsweise phänomenal in Deutschland. Hier liegt der Marktanteil von Lexus noch bei etwa 2,3 Prozent.

Wir könnten technische Details auflisten, tabellarisch mit den Mitbewerbern abgleichen und zum Schluss kommen, dass die Toyota-Tochter moderne Wagen baut, die hochwertig ausgestattet und durch ihren Vierzylinder plus Hybrid extrem effizient sind. 980 Kilometer Reichweite, bei gerade einmal 5,2 Liter Verbrauch. Diese Beschreibung wäre nicht nur sehr langweilig, sondern würde zudem einer globalen Marke nicht gerecht werden, die anders und neu denkt und handelt. Es würde nicht zeigen, was hinter den Grundsätzen einer Marke steht, die sich auf „Handwerk“, „Gastfreundschaft“ und „Ikigai“ beruft. Die aus tief verwurzelten, oft jahrhundertealten Maßstäben schöpft, um aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden. Deswegen übersetzen wir diese drei Maßstäbe frei. Und erklären, was Lexus mit Luxus meint.

HYBRID aus japanischem Ethos und globaler Vermarktung. 95 Prozent der Teile im NX sind Lexus-Eigenentwicklungen.

TAKUMI: HANDWERK

Umgerechnet etwa 7500 Arbeitstage oder 30 Jahre muss ein Handwerker seinen Job ausüben, um sich als Takumi-Meister bezeichnen zu dürfen. Ein Ausbildungsprinzip, das sich im modernen Japan zwar weitestgehend in traditionellen Branchen und Betrieben findet, wie der Schmiede-, Zimmermanns- oder Kochkunst, jedoch auch bei Lexus kultiviert wird. Unter den 7770 Lexus-Mitarbeitern im Werk in Kyushu zählen nur 19 zu den Meistern ihres Fachs. Ihnen ist die Veredelung und Abnahme einzelner Arbeitsschritte vorbehalten, auf ihre Erfahrung vertrauen Designer, Sattler und Mechatroniker, um konsistente Ergebnisse abzuliefern. Gleichzeitig sind die Meister verpflichtet, ihr Wissen an ihre Schüler im Unternehmen weiterzugeben. Für Fans flacher Hierarchie: undenkbar. Für ein Luxusgut: unbezahlbar. Denn Takumi-Meister haften für ihre Arbeit mit ihrem Ethos, ihrem Namen – und ihrem Siegel, das unmissverständlich zeigt: enthält 60000 Stunden Erfahrung. Ein Verkaufsargument, das sich nicht konstruieren lässt. Takumi macht aus einem Kochmesser des Schmiedes Keijiro Doi ein Sammlerstück. Und aus dem Innenraum des NX einen Konzertsaal. Denn in Zusammenarbeit mit Mark Levinson hat Lexus für seine Premium-Modelle wie den NX 450h ein Hi-Fi-System mit 17Lautsprechern entwickelt, um sagenhaften Klang zu erzeugen, den man durch Subwoofer im Kofferraum und Sitz physisch spüren kann. Eine Entwicklung, die mehrere Jahre gedauert und sich schließlich ausgezahlt hat. Warum? Weil der Fahrer als Gast gesehen wird, der sich umsorgt und sicher fühlen soll.

Takumi wird auch an Neuheiten wie den Türgriffen des NX deutlich: Sie sind den Shoji, japanischen Schiebetüren, entlehnt. So fügen sie sich konturlos in die Autotür ein und sind ohne jedes Geräusch bedienbar. Ein Design, das etwa 1000 Jahre alt ist. Und immer neu wirkt.

ZENTRUM Nur wer alles unter Kontrolle hat, kann entspannt sein. Alle Funktionen des NX sind auf wenige Knöpfe verteilt.

OMOTENASHI: GASTFREUNDSCHAFT

Aufmerksamkeit, Höflichkeit, Fürsorge: Omotenashi. Japanische Gastfreundschaft bedeutet mehr als eine Verbeugung zur Begrüßung. Sie umfasst nahezu jeden Lebensbereich und fächert sich in unterschiedlichste Spielarten auf. Das Essen direkt vor Restaurantgästen hinter einem Tresen zubereiten, um ihnen ein angenehmes Erlebnis zu geben. Jemanden, der nach dem Weg fragt, zumindest ein Stück zu begleiten. Oder: Raumgestaltung. Mag der Restaurantvergleich weit hergeholt klingen – auf denselben Grundlagen beruht die Innenraumgestaltung der Lexus-Designer. Die Tür gleitet zu. Im Innern des Wagens herrscht absolute Stille. Das Auto als Rückzugsort. Orientiert hat sich Lexus dabei auch am minimalistischen Stil des Stararchitekten Tadao Andō. Der Pritzker-Preisträger reagierte auf den unkontrollierten Bauboom in seiner Heimat Osaka mit Schlichtheit und Ruhe. Nach außen hin wirken seine Gebäude unzugänglich und geometrisch. Im Innenraum strahlen sie Wärme und Gemütlichkeit aus. Ein Grundsatz, der sich im NX widerspiegelt: Brauntöne, schlichte Bedienelemente und organische Materialien wie Leder und Echtholz innen. Aggressive Front und keilförmige L-Heckleuchten außen. Harte Schale, angenehm unaufgeregter Kern.

IKIGAI: LEBENSZWECK

Nach dem gleichnamigen Bestseller von Héctor García und Francesc Miralles ist Ikigai zu einem geflügelten Begriff für Coaches, Personal Trainer und Ökotrophologen geworden. Der Grundtenor des vielschichtigen Systems ist zum einen: Bleib aktiv, tu das, was dir Freude bringt. Aber auch: Finde einen Sinn im Leben. Und beschränke dich aufs Wesentliche. Das ist Luxus. Entgegen der westlichen, schweren Deutung des „Lebenssinns“ kann es im japanischen Verständnis auch um kleine Tätigkeiten gehen. Einen Garten anlegen, einen Tanz vollführen, eine gute Tasse Tee am Morgen trinken. Alles luxuriöse Momente, die man sich gönnt. Für Lexus bedeutet Ikigai: morgens in sein Auto einzusteigen. Und die Tür hinter sich zuzuziehen und einen Moment innezuhalten.