David Hertz vereint Architektur mit Nachhaltigkeit

Der amerikanische Architekt David Hertz ist für seine luxuriösen Häuser bekannt. Mal lässt er sich dabei von den Flügeln einer Boeing inspirieren, mal von Reisen nach Peru und Bali. Was all seine Bauten gemeinsam haben? Sie sind ungewöhnlich – und nachhaltig. Über einen Mann, der die Grenzen der Architektur austestet.
Text Justin Fenner
Das „Wing House“ in Malibu zählt zu David Hertz' bekanntesten Entwürfen.
Malibu trifft Südostasien: „Xanabu“ ist David Hertz' jüngstes Projekt.

Es gibt da diese Geschichte, die man sich in der kalifornischen Architekturszene gern erzählt: Angeblich sei der Architekt David Hertz als Teenager auf einer Baustelle des berühmten Baumeisters John Lautner eingebrochen. 45 Jahre nach dem fraglichen Vorfall verzieht Hertz keine Miene, wenn er auf die Anekdote angesprochen wird – und dann seine eigene Version davon erzählt. 

Seine Eltern hätten Joann und Gilbert Segel, die Eigentümer des damals gerade entstehenden Segel House in Malibu, persönlich gekannt. Als er selbst immer wieder mal über den Bauzaun der Segels sprang, um sich auf deren Baustelle umzusehen, hätte er deshalb keinerlei Unrechtsbewusstsein gehabt. Eines Tages hätten sie ihn auf dem Grundstück erwischt, und er habe ihnen seine Faszination für die einzigartige Ästhetik des entstehenden Bauwerks gebeichtet. Die Segels hätten ihm daraufhin ein Mittagessen mit John Lautner arrangiert. 

Tatsächlich kommt die Begegnung mit Lautner erst 1979 zustande, und zu diesem Zeitpunkt weiß Hertz schon sicher, dass er selbst Architekt werden will – trotz oder gerade wegen der Einschätzung eines Berufsberaters, der mit Blick auf seine schlechten Mathenoten dringend von einem Architekturstudium abrät. Lautner dagegen erkennt Hertz’ Potenzial sofort. „Ich glaube, er schätzte meinen Enthusiasmus“, sagt der heute 61-jährige Hertz. Damals bietet ihm Lautner einen Ferienjob an. Hertz nimmt begeistert an und arbeitet vier Jahre bei ihm – der Startschuss für eine sagenhafte Karriere, die dem Berufsberater die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte.

Seine Architektur schafft reiseähnliche Erlebnisse

David Hertz mit seiner Frau Laura Doss-Hertz und Hund Shanti.

In den mittlerweile vier Jahrzehnten seiner Laufbahn hat Hertz Designarbeiten aller Art entwickelt. Bekannt geworden ist er vor allem mit luxuriösen Häusern, die sich durch ihre klaren Linien, ökologischen Qualitäten und ein gewisses Flair von Mobilität auszeichnen. Letzteres ist stark von Hertz’ frühen Reisen nach Hawaii, Mexiko, Peru und Bali beeinflusst. „Meine Reisen prägen meine Architektur, aber meine Architektur kann auch ein reiseähnliches Erlebnis schaffen“, sagt er. 

Eines seiner bemerkenswertesten Gebäude bringt Stampflehm und die Flügel eines ausgemusterten Boeing-Jets zusammen. Zurzeit arbeitet Hertz in Malibu an Xanabu, seinem bisher persönlichsten Projekt, das weniger an die kalifornische Küste als an Südostasien erinnert. „Davids Architektur fasziniert, weil sie sich gegen den Status quo auflehnt“, sagt seine Ehefrau und Mitarbeiterin, die Fotografin Laura Doss-Hertz. „Dabei rebelliert David nicht einfach. Er kennt und respektiert die Regeln, stößt sich nur einfach gern an ihnen.“ 

David Hertz baut nachhaltig

Die Flügel einer Boeing 747 dienen als Dach des „Wing House“.

Nach Abschluss seines Studiums gewinnt Hertz ein einjähriges Praktikum bei Frank Gehry. 1984 gründet er schließlich sein eigenes Studio und entwickelt Syndecrete, eine Betonalternative, die nur halb so viel wiegt wie herkömmlicher Beton, dabei doppelt so stark ist. Er nutzt sie als Material für den Hausbau, etwa bei einem Gebäude in Venice, das er ab 1995 mit seiner ersten Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern bewohnt (Fans der Serie Californication kennen es als lässigen Wohnsitz von Hauptfigur Hank Moody). 

Das Gebäude dient ihm als Nachhaltigkeitslabor: Das verwendete Holz ist wiederverwertet oder aus nachhaltigem Anbau gewonnen, statt einer konventionellen Klimaanlage ist eine natürliche Kühlung eingebaut. Solarzellen auf dem Dach liefern 90 Prozent der benötigten Energie. So wird das Anwesen in Venice schnell zu einem Aushängeschild, das auch andere Bauherren auf Hertz aufmerksam macht. 

Unter ihnen ist Francie Rehwald, die 2004 ein durch Waldbrand schwer beschädigtes Anwesen in Malibu kauft. Den Auftrag, das Anwesen radikal neu zu interpretieren, erteilt sie Hertz unter einer Bedingung: „Ich liebe bestimmte Elemente seiner Architektur, fand sie aber insgesamt zu brutalistisch, zu maskulin“, erinnert sie sich. „Also habe ich ihn gebeten, etwas Schlankes und Weibliches zu entwerfen, mit Kurven anstelle von harten rechten Winkeln.“ Nur einen Tag nachdem er entsprechend gebrieft wird, sitzt Hertz im Flugzeug – und kommt so auf die Idee, die geschwungenen Formen einer Boeing 747 in die Struktur des Hauses zu integrieren. 

Xanabu – ein Stück Asien in Malibu

Die Terrasse von „Xanabu“ überblickt die Berge von Santa Monica.

Rehwald ist begeistert, geduldet sich dann auch die sechs Jahre, die es braucht, um die unkonventionelle Idee zu realisieren. Ihre Geduld zahlt sich aus. Das 2013 fertiggestellte – und mittlerweile weltberühmte – Wing House ist Technikabenteuer und Recycling-Wunderwerk zugleich: „Was mir an diesem Haus gefällt, ist das skulpturale Zusammenspiel der verschiedenen Aspekte“, sagt Hertz. Und Francie Rehwald schwärmt: „Wenn man bei Nebel nur noch die Flügel sehen kann, fühlt sich das fast wie Fliegen an.“

Auf dem Nachbargrundstück des Wing House entdeckt Hertz zufällig sein aktuelles Eigenheim. Argyle Farm heißt die bizarre Ansammlung von pagodenartigen Strukturen, die der Architekt dort vorfindet: „Ich dachte, ich wäre durch ein Portal in eine andere Welt getreten“, erzählt er. 2017 verkauft er sein Californication-Haus für umgerechnet 13,4 Millionen Euro. Anschließend übernimmt er mit seiner zweiten Frau Laura die Argyle Farm von Hutton Wilkinson, einem Autor und langjährigen Mitarbeiter des bekannten Film- und Setdesigners Tony Duquette. 

Duquette gehörte früher das Gelände, auf dem sich heute das Wing House befindet. Aus alten Filmkulissen hatte er dort ein Wunderland entstehen lassen. Nachdem die verrückte Ansammlung von Bauten durch einen Waldbrand weitgehend zerstört worden war, zog Duquette nebenan ins Gästehaus der Wilkinsons. Obwohl Hertz den verstorbenen Duquette nie kennengelernt hat, fühlt er sich dafür verantwortlich, dessen Arbeit zu bewahren – allerdings unter neuem Namen: Xanabu nennt er die frühere Argyle Farm. Die Wortschöpfung verbindet Malibu mit Xanadu, der legendären Palaststadt des mongolischen Herrschers Kublai Khan. 

Die UN setzt David Hertz' Erfindungen ein

Das Paar lebt nun im ehemaligen Hauptwohnsitz der Wilkinsons, nutzt Duquettes fantastische Schöpfung aber gern für Unterhaltungszwecke. Mit ihren glänzenden Metalltoren und ihren hohen, spitzen Kuppeln wirkt sie majestätisch, wie aus einer anderen Welt. „Wir sind hier nicht im Dschungel von Kambodscha, nicht im Hochland von Bhutan oder Myanmar“, sagt Hertz. „Wir sind hier auch nicht im Kloster. Aber die Anlage hat Qualitäten von alldem, und sie bringt sie in Resonanz mit der kalifornischen Landschaft.“ 

Der Wunsch, diese Landschaft zu schützen, hat Hertz zu einer seiner wichtigsten Innovationen inspiriert: Mithilfe eines selbst entwickelten Systems namens SkySource WeDew sammelt und speichert er auf dem Grundstück Wasser, das bei Bedarf zur Bekämpfung von Waldbränden genutzt werden kann. Das Gerät erhitzt organische Abfälle, um Kondensation zu erzeugen, also Feuchtigkeit aus der Luft zu ziehen, und das so gewonnene Wasser für die spätere Verwendung zu reinigen. 2018 erhielt Hertz den Designaward Xprize für seine Erfindung, 2020 bezeichnete das Time-Magazin die weiterentwickelte Anlage als eine der wichtigsten Erfindungen des Jahres. Mittlerweile plant das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, das System in Uganda und Tansania einzusetzen.

Dass Hertz beim Bau von Luxusvillen nebenbei auch Lösungen für dringende Umweltprobleme entwickelt, mag manche überraschen. Für ihn stellt das keinen Gegensatz dar – sondern erst den Anfang: „Wir kommen irgendwann an einen Punkt, an dem unsere gebaute Umwelt mehr Ressourcen produziert und zurückgibt, als sie der Natur entzieht. Schon im Verlauf meiner Karriere hat sich auf diesem Feld so vieles radikal verändert. Ich glaube, da geht bald noch viel mehr!“