Klaus St. Rainer und sein Sazerac

In unserer Kolumne lädt Klaus St. Rainer, der Chef der Goldenen Bar in München, an die Bar und serviert neben Gedanken einen Drink. Dieses Mal: seinen Sazerac.

Es gab eine Zeit, da bin ich mit anderen Bartendern jedes Jahr in die Cognac-Region, Nouvelle-Aquitaine, gereist. Mal zu offiziellen Proben, mal zu rein privaten Recherche-Zwecken. Und jedes Jahr bekamen wir neue Anweisungen, um unseren Gästen zu Hause den Weinbrand schmackhaft zu machen: Cognac nie mixen! Cognac ist die beste Cocktailzutat! Cognac ist feminin! Cognac ist maskulin! Auf keinen Fall kühlen! Bei minus 18 Grad servieren, bitte sehr! Die Werbeversprechen änderten sich, der Ort blieb gleich: viel Fachwerk, viel Idylle – und nach 21 Uhr fand man sich am Tresen der einzigen geöffneten Kneipe wieder, die weniger heimischen Cognac, sondern nur das Bier eines internationalen Konzerns ausschenkte. Natürlich trinkt man bei solchen Reisen zu viel – berufsbedingt. Eines Tages saß ich verkatert im Bus zurück zum Flughafen, sah die pittoreske Landschaft am Fenster vorbeigleiten und verfiel in einen tiefen Blues. So beugte ich mich zu einem meiner treuesten Reisebegleiter und sagte: „Ich hab gerade ein Gedicht über Cognac geschrieben.“ Er sagte: „Hau raus.“ Ich rezitierte: „Fuck. Cognac.“ 

Cognac als Basis für klassische Cocktails

Natürlich meinte ich das nicht so. Vielmehr drückte ich meine tiefe Resignation angesichts der vielen widersprüchlichen Narrative aus, die Kommunikationsstrategen um dieses ehrliche Produkt gestrickt hatten. Denn Cognac ist kein Marketingmärchen – Cognac ist ein ehrliches, landwirtschaftliches Erzeugnis mit einer mehrere Jahrhunderte alten Tradition, gemacht von Winzern, Destillateuren, Menschen. Die Realität ist sehr viel spannender als die Fiktion. Was allein schon ein Blick in die Geschichte zeigt: In New Orleans, das im 19. Jahrhundert noch stark französisch geprägt war, war Cognac die Basis für eine Vielzahl an klassischen Cocktails, wie etwa den Sazerac, einer aromatischeren Abwandlung des Old Fashioned.

Dann brach der Markt vollständig ein. Cognac verschwand von den Karten aller Bars. Der Grund: die Reblaus. Zwischen 1865 und 1885 wütete der nordamerikanische Schädling in Europa. Europäische Rebsorten hatten keine Abwehrmechanismen gegen das Insekt, während amerikanische Arten resistent waren. Die Plage zerstörte Weinernten und stürzte ganze Landstriche in die Armut. Erst als man die europäischen Rebsorten auf resistente amerikanische Wurzelstöcke pfropfte, wurde man des Fiaskos Herr. In New Orleans wich man als Reaktion auf einheimische Spirituosen wie Rye oder Bourbon aus. Bis heute wird man deswegen in Bars, die ihr Handwerk sehr ernst nehmen, gefragt, ob man einen Sazerac mit Cognac, Whiskey oder 50/50 trinken möchte.

So beeinflusst Weltpolitik die Barkultur

Die Prohibition in den USA und Kriege in Europa verknappten den American Whiskey. Und Cognac bekam eine zweite Chance. Das Pendel schwang zur anderen Seite. Barkultur war immer auch das Ergebnis von Weltpolitik. Bis heute. Denn die Reblaus sitzt aktuell im Weißen Haus. Auch wenn ich mir kein Urteil über die Außenpolitik des Präsidenten der USA anmaßen will, ist sicher: Strafzölle könnten Bourbon und Rye verteuern und für Bars unwirtschaftlich machen. Kein Gast ist gewillt, tiefer in die Tasche zu greifen, nur um „echte“ amerikanische Produkte zu genießen. Eine neue Chance für Cognac. Alles in allem aber dennoch eine traurige Entwicklung. Aber man muss es positiv sehen: Regionalität bekommt wieder mehr Gewicht. Das ist nicht nur nachhaltiger, sondern eröffnet auch eine neue Perspektive für eine meiner Lieblingsspirituosen. Denn Cognac ist ein französisches Original, das bisher alle Krisen und so manche US-Präsidenten überdauert hat.

Rezept für den Sazerac

Zutaten

  • 60 ml Hennessy XO
  • 5–6 Dashes Peychaud’s Bitters (alternativ: Creole Bitters)
  • 1 Zuckerwürfel oder 10–15 ml Zuckersirup
  • Etwas Absinthe

Zubereitung

  • Den Zuckerwürfel oder Zuckersirup in ein Rührglas geben. Die Bitters (5–6 Dashes Peychaud’s oder Creole Bitters) darüberträufeln und mit dem Zucker verrühren bzw. vermischen, bis sich alles gut aufgelöst hat. 
  • Anschließend den Cognac und viel Eis hinzugeben.
  • Mindestens 20 Sekunden rühren, damit genug Schmelzwasser in den Drink gelangt – das macht ihn weicher und harmonischer im Geschmack.
  • Ein kleines, vorgekühltes Becherglas innen mit etwas Absinthe benetzen. Am einfachsten gelingt das, wenn man den Absinthe in einen kleinen Parfümflakon füllt und 1–2 Sprühstöße ins leere Glas gibt – der Drink soll nur leicht aromatisiert werden. Nun den Drink aus dem Rührglas ohne Eis in das vorbereitete Glas abseihen.
  • Ein Sazerac wird klassisch „neat“, also ohne Eis, serviert. Natürlich ist es aber kein Verbrechen, ihn auch in ein mit Eis gefülltes Old-Fashioned-Glas zu strainen – erlaubt ist, was schmeckt.

Pflichtlektüre

„Homebar: Easy Cocktails für Zuhause” von Klaus St. Rainer