Eine von wenigen

Lange galten Schmuck- und Uhrendesign als Männerdomänen. Stéphanie Sivrière gehört zu den wenigen Frauen, die sich in der Branche unersetzlich gemacht haben. Wir treffen die Kreativdirektorin von Piaget zum Interview.
Text Gloria von Bronewski
Die High-Jewelry-Kollektion „Extraleganza” umfasst besonders aufwendig gearbeitete Schmuckstücke.

Andy Warhol, seine Muse Ursula Andress oder Salvador Dalí, mit dem er unter anderem für die Schmuckkollektion Dalí d’Or zusammenarbeitete: In den 1970er-Jahren lud Yves Piaget, der Erbe der vierten Generation, seine Jetset-Freunde regelmäßig zu Ferien am Mittelmeer ein. Er nannte sie die „Piaget-Society“. Und bis heute ist es ein besonderes Statement geblieben, zum Kundenkreis von Piaget zu gehören. Alles begann im Schweizer Dorf La Côte-aux-Fées im Nebenzimmer eines Bauernhofs als kleine Werkstatt und dank der Erfindung einer ultraflachen Uhr, der Altiplano, wurde Piaget weltberühmt. Es war eine Meisterleistung, denn die gesamte Uhr war nur sechs Millimeter hoch.

Es folgten die heute legendären Manschettenuhren und die Swinging Sautoirs von 1969, die sich von einer Halskette in verschiedene Schmuckstücke verwandeln lassen. Immer verbunden mit dem Glamour von Yves Piaget, der das ästhetische Erbe des Hauses prägte. Er verwandelte Gold in seidige, stoffähnliche Oberflächen und kombinierte es mit Steinen wie Türkis, Malachit und Lapislazuli – was damals einer Design-Rebellion glich. Die kreative Rebellin von heute ist Stéphanie Sivrière. „Bei Piaget waren es Uhrmacher, die zu Juwelieren wurden, und ich habe den umgekehrten Weg eingeschlagen“, sagt die Französin über ihre autodidaktische Arbeitsweise. 

Als Leiterin des Kreativstudios bei Piaget durchbricht sie mit ihrem neunköpfigen Team die gewohnten Codes der Uhrmacherei und Juwelierkunst. Das zeigt sich auch in der neuesten High-Jewellery-Kollektion Shapes of Extraleganza. Seit 20 Jahren garantiert Sivrière mit ihrer konkreten Vision von Luxus den Erfolg des Hauses. Allerhöchste Zeit, sie in Robb Reports neuer Reihe „Women In Luxury“ zu dieser persönlichen Einstellung zu befragen.

Piagets Kreativdirektorin Stéphanie Sivrière ist besessen von blauen Edelsteinen, das zeigt sich auch in ihren Kreationen.

Was ist für Sie die größere Herausforderung: eine Uhr oder eine Halskette?

Eine Uhr. Ich habe als Schmuckdesignerin angefangen, also wird Schmuck für mich immer intuitiver sein. Anfangs waren Uhren für mich etwas einschüchternd, aber je mehr ich mich mit ihnen beschäftige, desto mehr habe ich das Gefühl, eine neue Ebene der Uhrenwelt zu erschließen. Aktuell habe ich eine Obsession für Frauenuhren entwickelt.

Was war das erste Schmuckstück, das Sie selbst entworfen haben?

Ein Ring, den ich jeden Tag trage: ein Zigarrenring mit Decor-Palace-Gravur und winzigen Diamanten. Für mich ist er der Inbegriff des Piaget-Stils für den Alltag. Er hat mich auch zu einer neuen Kollektion inspiriert, die bald herauskommen wird.

Gibt es ein Design Ihrer Karriere, das Sie heute ganz anders gestalten würden?

Jedes und keins. Das ist das Problem, wenn man entwirft: Rückblickend sieht man die Dinge anders, man möchte optimieren oder verwirft es komplett. Aber gleichzeitig hat mich jede Kollektion, jedes Design dorthin gebracht, wo ich heute bin. Also schließe ich am Ende einfach das Archiv und denke, dass alles perfekt war, so wie es war.

Wer inspiriert Sie?

Künstlerinnen. Ich bin selbst eine und die Tochter einer Malerin. Also kurz, meine Mutter und meine Tochter, die es uns gleichtut.

In Zusammenarbeit mit der Federkünstlerin Nelly Saunier wurde die Yves-Piaget-Rose neu interpretiert.

Drei Dinge, die Sie jeden Tag begleiten?

Ein Ring von meiner Großmutter, mein handgravierter Piaget-Ring, den ich nie ausziehe, und ein Kunstwerk der Künstlerin Prune Nourry, das mir sehr am Herzen liegt. Es ist ein Pfeil, den mir meine Mutter nach einer Krebserkrankung geschenkt hat, um mich an meine Stärke und Entschlossenheit zu erinnern. Er hat einen besonderen Platz in meinem Herzen.

Was war die mutigste Entscheidung, die Sie je getroffen haben?

Allen Hindernissen zum Trotz mit dem Design von Uhren zu beginnen.

Welcher Stein hat Sie jemals so sehr herausgefordert, dass Sie ihn am liebsten nicht anfassen wollten?

Opal. Der Lieblingsstein von Yves Piaget und eines unserer Markenzeichen. Es ist jedoch ein großer Unterschied, ob man sich vom Opal in all seinen Formen und Farben inspirieren lässt – in letzter Zeit haben wir für die Formen der Extraleganza-Kollektion typischerweise schwarzen Opal verwendet – oder ob man ihn in den Werkstätten bearbeitet. Es ist der zerbrechlichste Edelstein der Welt, daher ist es ein unendlicher Albtraum, wir fürchten uns alle vor dem Ergebnis bis zur letzten Minute.

Welchen Rat würden Sie Ihrem jüngeren Ich geben?

Selbstbewusster und mutiger zu sein und meine Instinkte am Anfang nicht so sehr zu unterdrücken. Aber am Ende sind es auch die Fehler, aus denen man am meisten lernt, also bereue ich nichts.

Welcher Edelstein hat eine Seele für Sie?

Ich bin besessen von Blau – egal ob es sich um einen Indigolith oder einen Smaragd handelt. Denn ein Smaragd ist nicht nur einfach tiefgrün, er hat Schattierungen, kann gelb oder blau sein. Ich entscheide mich instinktiv immer für die blauen.

Was hat mehr Reiz im Leben als Edelsteine?

Familie und Glück. Edelsteine sind erstaunlich, aber was zählt, sind die Momente, in denen man sie tragen kann. Mehr als die Steine an sich.

Wen würden Sie gern ausstatten?

Ich werde mich ewig daran erinnern, wie Amber Valletta bei „Barcelona High Jewellery“ den Swinging Sautoir in Rubinrot hinten an ihrem rückenfreien Kleid trug . Ansonsten würde ich gern in die 70er-Jahre reisen und mit Herrn Piaget eines unserer Stücke Elizabeth Taylor oder Brooke Shields anlegen.

Was schmückt eine Frau außer Schmuck?

Ihre Haltung und ihre Stärke. Wenn ich zum Beispiel einen Swinging Sautoir entwerfe, stelle ich mir interessanterweise immer eine Frau vor, die ein weißes Hemd und Jeans trägt, aber mit einer besonderen Persönlichkeit. Das ist auch der Grund, warum ich mir diese Sautoirs oft als umwandelbar vorstelle, sodass man das Zifferblatt leicht abnehmen und es an ein Armband für den Alltag anstecken kann. Aber im Endeffekt kann alles alltäglich getragen werden.

Gibt es einen Ort, der für Sie Luxus pur bedeutet?

An einem Strand zu sein – mit meinen Kindern und ohne Internetverbindung.