Karl-Friedrich Scheufele: „Ein Erbe ist kein unverdientes Geschenk”

Chopard sitzt immer mit am Tisch: Co-Präsident Karl-Friedrich und sein Sohn Karl-Fritz Scheufele sprechen über den Generationenvertrag im Familienunternehmen.
Text Alexander Stilcken

Vater und Sohn empfangen ihren Gast in der Halle des Palace Hotels von Gstaad. Es ist Vormittag und Nebensaison, doch man dürfe sich von der Ruhe nicht trügen lassen. Vergnügt schildert Karl­-Friedrich Scheufele den abendlichen Kampf um die besten Plätze und das damit verbundene hiesige Sehen und Gesehen-Werden. Der Co­-Präsident von Chopard verbringt schon seit Jahrzehnten einen guten Teil des Jahres hier in den Alpen, und so schillernd sich der Ort und auch seine Marke inszenieren, so sachlich­-wohlüberlegt tritt Scheufele auf. Der Erfolg im Hier und Heute ist das Ergebnis von Ausdauer und Engagement und vor allem: eine Familiengeschichte.

Senior und Junior ähneln sich sehr. Im Unternehmen gilt Karl-Fritz Scheufele scherzhaft als „Mini-Karl-Friedrich“.

Am Vorabend haben Scheufele und sein Sohn Karl­-Fritz, der im Unternehmen aktuell den Titel „Business Development & Innovation Manager“ trägt, im elitären „Eagle Ski Club“ an einer langen Tafel den Erfolg der „Alpine Eagle“­-Uhren­-Kollektion gefeiert. Auch Tochter Caroline­-Marie war dabei, sie arbeitet in der Schmuck­-Produktentwicklung, während ihr Mann Miguel mit seiner Band „Knights Club“ für Stimmung sorgte. Karl­-Friedrich mag als Grandseigneur und Stratege die Entwicklung des Konzerns verantworten, doch es gibt nicht den einen für alles, vielmehr gilt in der Familie: alle für eines. Nämlich: Chopard. Und während Vater und Sohn über ihr Unternehmen und das familiäre Miteinander berichten, wird klar, dass hier nicht allein mit einer Stimme gesprochen wird. Auch die Ähnlichkeiten in Auftritt, Wortwahl und Mimik sind verblüffend.

Wir sitzen hier im Palace Hotel in Gstaad. Was bedeutet der Ort für Sie als Familie – und für Chopard?

Karl-Friedrich Scheufele: Für uns war die Region immer eine zweite Heimat, nun ist es eigentlich sogar unsere erste, weil wir hier inzwischen unseren Wohnsitz haben. Wir leben allerdings ein paar Kilometer entfernt im Örtchen Lauenen, das eine ganz andere Welt als Gstaad ist. Dort fühlen sich alle drei Generationen der Familie sehr wohl, es ist unser Rückzugs­- und Erholungsrefugium. Ich selbst habe hier oben auch viel mehr Ideen als unten im Tal.

Karl-Fritz Scheufele: Das merke auch ich ganz deutlich. Man spricht am Freitag mit dir in Genf im Büro über eine Uhr, kommt aber vielleicht nicht zu einem hundertprozentigen Ergebnis. Wenn du dann übers Wochenende in die Berge fährst, dann ist das Gespräch am Montag immer ein ganz anderes! Da kommen dann neue Ideen und Änderungswünsche auf den Tisch. Ich bin überzeugt, dass die Ruhe hier oben uns allen guttut – auch für das Unternehmen.

Die sportliche Alpine Eagle ist seit fünf Jahren Teil der Kollektion – hier eine Variante in Titan. Preis: 28.500 Euro.

Wie darf man sich das als Außenstehender vorstellen: Kreisen die Gedanken der Familienmitglieder beim Zusammensein stetig um das Familienunternehmen?

Karl-Fritz Scheufele: Ja, tatsächlich ist das fast immer so.

Karl-Friedrich Scheufele: Zumindest enden beinahe alle Gespräche dort. Das ist so ausgeprägt, dass Katarina, die jüngere Schwester von Karl­-Fritz, sich als Achtjährige für uns eine Strafe ausgedacht hat: Der Erste, der während der Mahlzeiten anfing, von Chopard zu sprechen, musste zwei Franken in ihr Sparschwein werfen. Sie rief dann gern: „Chopard sitzt nicht am Tisch!“

Nun aber ist die dritte Generation tatsächlich mit am Tisch im Unternehmen …

Karl-Fritz Scheufele: Ja, und so einen Übergang zwischen den Generationen stellen sich die meisten sehr drastisch vor. Da wird angenommen, dass das von heute auf morgen geschieht und dann ein Memo an alle Mitarbeiter der Firma verschickt wird. Im Stile von „Achtung, der Sohn ist jetzt hier, und er macht dies oder jenes.“ Aber so ist es halt nicht. Das Ganze ist vielmehr ein Prozess. So war es bei meiner Schwester und auch bei mir. Ich zum Beispiel habe mit dem Wein angefangen, den wir produzieren, und gar nicht mit den Uhren. Das ist etwas, was mich damals am meisten interessiert hat, und da habe ich mich eingearbeitet. Daraus haben sich andere Dinge ergeben, ich habe mit verschiedenen Teams zusammengearbeitet, und so entwickle ich mich stetig weiter.

Karl-Friedrich Scheufele: Bei mir war das auch schon so. Ich habe zunächst außerhalb von Chopard in anderen Werkstätten gearbeitet und eine abgekürzte Ausbildung zum Goldschmied gemacht. Die Uhren musste ich erst für mich entdecken – aber als das dann passierte, wusste ich ganz genau, dass ich genau das machen wollte. Außerdem war es eine aufregende Zeit, neue Märkte wollten erschlossen werden und neue Kollektionen entwickelt. Zum Beispiel die „St. Moritz“, der Vorgänger unserer „Alpine Eagle“.

Die Boutique auf der 5th Avenue in New York City empfängt eindrucksvoll.

Dafür mussten Sie Ihren Vater in den 1980er-Jahren aber erst einmal überreden. So wie Karl-Fritz Sie selbst dann gut 35 Jahre später von der „Alpine Eagle“-Kollektion überzeugen musste …

Karl-Friedrich Scheufele: Ja, das wohl Wichtigste ist, dass die jeweils junge Generation das darf und ihr zugehört wird. Wie häufig gibt es Eltern, die etwas Neues kategorisch ausschließen, und zwar einfach nur, weil man es so vorher noch nie gemacht hat. Oder weil das Familienoberhaupt unbedingt selbst bestimmen will. Das war und ist in unserer Familie anders. Natürlich muss man gut argumentieren und seine Überzeugung verteidigen können. Aber jeder konnte und kann sich Chancen erarbeiten.

Karl-Fritz Scheufele: Bei Chopard hilft natürlich auch die grundsätzliche Struktur des Unternehmens. In vielen größeren Familienunternehmen ist die Eigentümerfamilie selbst oft gar nicht mehr sehr aktiv. Da sitzt dann vielleicht ein Familienmitglied im Aufsichtsrat, ein weiteres im Management – und das ist es dann auch schon. Bei uns hingegen sind alle im Tagesgeschäft involviert. Das mag nicht immer einfach sein …

Karl-Friedrich Scheufele: … aber es ist spannend – und alle haben viel zu tun. Es ist einfach extrem wichtig, diese Räume zu schaffen, damit sich eine nächste Generation beweisen kann. Wäre das nicht möglich und neue Ideen unerwünscht, würde es die Motivation im Kern ersticken.

Eine neue Art der Kundenbindung: Die eigenen Boutiquen möchte man bei Chopard wie Hotels führen.

Wo sehen Sie zwischen sich beiden denn die größten Unterschiede?

Karl-Fritz Scheufele: In kreativer Hinsicht sind wir uns beide ziemlich ähnlich. Wir haben viele Ideen, was die Herausforderung mit sich bringt, diese möglichst schnell umzusetzen In der Firma sagen mir viele, dass ich auch vom Management-Stil und im Umgang mit Kreationen ein „Mini-Karl-Friedrich“ sei.

Karl-Friedrich Scheufele: Wir steigern uns nie blind in eine Idee rein, sondern machen uns ausführlich Gedanken und wägen ab. Karl-Fritz stellt sich sogar noch mehr Fragen als ich, wo ich dann irgendwann den Mut einfordere, in die Handlung zu kommen. Wer sich zu viele Fragen stellt, der macht am Ende weniger – oder gar nichts. Und nichts tun mag zwar kurzfristig wie der sicherste Weg erscheinen, aber das ist eine sehr trügerische Sicherheit. Da hilft mir dann meine Erfahrung, und ich unterstütze mit Zuversicht und Vertrauen.

Karl-Fritz Scheufele: Mit der Erfahrung entwickelt sich auch das Bauchgefühl, um zu erkennen, ob ein Projekt abgeschlossen ist oder noch mehr Aufmerksamkeit benötigt, oder ob Idee A besser als Idee B ist. Ich selbst vertraue meinem Bauchgefühl einfach noch nicht so sehr, darum schaue ich auf die Daten. Zudem liebe ich Informatik, was ich auch studiert habe, und gehe bislang eher analytisch an die Sache.

Mit der Schmuckuhr „Happy Diamonds“  ist der Bekanntheitsgrad von Chopard gewachsen.

Das Wort „Erbe“ wird in Deutschland ja nicht nur positiv betrachtet. Wie definieren Sie den Begriff für sich?

Karl-Friedrich Scheufele: Mit dem Wort „Erbe“ wird leider nicht oft genug das Wort „Verantwortung“ in Verbindung gebracht. Stattdessen wird es als unverdientes Geschenk betrachtet, man bekommt etwas und lässt es sich gut gehen. Im Falle eines Unternehmens jedoch, bei dem sich die nächste Generation einbringt, kann es auch zur Last werden. Es ist in jedem Fall aber eine schwerwiegende Verantwortung, zu der sich die Erben bereit erklären.

Haben Sie jemals den Gedanken durchgespielt, wie es mit dem Unternehmen ohne das Interesse der nächsten Generation weitergegangen wäre?

Karl-Friedrich Scheufele: Nun, dann hätte man sich einen familienfremden CEO suchen müssen. Es gibt natürlich auch andere Wege, ein Unternehmen weiterzugeben, aber wenn die Eigentümer ein Unternehmen weiterführen kann und das Interesse und das Talent besteht, dann ist das für mich die schönste Art und Weise, es zu pflegen und zu entwickeln.

Karl-Fritz, Sie haben als Teil Ihrer Ausbildung in einigen der besten Hotels der Schweiz gearbeitet und dort immer wieder in unterschiedlichsten Abteilungen in der niedrigsten Position begonnen. Hilft das heute beim Verstehen Ihrer Kundschaft?

Karl-Fritz Scheufele: Die Erfahrungen in den verschiedenen Hotels haben mich gelehrt, dass der Kern vor allem Teamwork ist. Die Rezepte eines Gourmet-Restaurants können zum Beispiel sehr lang sein, weshalb in der Küchen-Brigade mitunter 20 bis 40 verschiedene Köche sich jeweils ein spezifisches Element eines Gerichts anarbeiten. Wenn da irgendetwas schiefgeht, dann kriegt der Gast nie sein Essen. Diese Parallelen sehe ich bis heute: Jeder Arbeitstag ist anders, und hundertprozentig wird keiner – es gibt immer Überraschungen und Probleme zu lösen.

Und Ansprüchen gerecht zu werden …

Karl-Fritz Scheufele: Klar, ich habe Gäste auch so erlebt, wie sie wirklich gestrickt sind. Wenn ich heute mit einem unserer Kunden spreche, dann ist das natürlich eine andere Situation als damals als Kellner, wenn ich dem Gast einen Tee serviert habe. Zu verstehen, wie Menschen sich verhalten, was sie mögen und was nicht, das ist sehr wertvoll. Meine Großmutter hatte mir zu dieser Ausbildung geraten, und wenn ich einmal Kinder habe, dann würde ich mir wünschen, dass sie auch diese Erfahrung machen.

Karl-Friedrich Scheufele: Die Erfahrung meines Sohnes fließt nun auch in die Konzeption von Events oder für das Training in unseren Boutiquen ein. Wir sind schließlich den Weg vom Produktionsbetrieb hin zur integrierten Unternehmensgruppe mit eigenen Boutiquen gegangen, und eigentlich muss man diese genau wie Hotels führen – was in unserer Branche immer noch nicht ganz angekommen ist. Da herrscht noch die Vorstellung vor, dass der Kunde kommt, nach etwas fragt, und das gibt man ihm dann. Die wenigsten machen sich aber Gedanken, was den Kunden bewegt und ob man noch etwas anderes anbieten kann. Diese Form von Customer Relations Management sind wir angegangen, und meines Erachtens beherrscht keiner dieses Feld so gut wie die Hotellerie.

Ein Unternehmen wie Chopard bedarf einer langfristigen Planung, die kaum Impuls-Entscheidungen zulässt. Wo nehmen Sie die innere Sicherheit her, das Unternehmen auf dem richtigen Kurs zu halten?

Karl-Friedrich Scheufele: Zunächst einmal haben wir immer mehr Projekte am Laufen, als wir benötigen. Denn wir wissen nie, wann genau aus einem Projekt auch ein fertiges Produkt wird. Wenn sich eines um zwei Jahre verspätet, ist also immer noch ein zweites Pferd im Rennen. Gerade die Konstruktion eines neuen Uhrwerks dauert drei bis fünf Jahre. Ich vergleiche das gern mit dem Anbau von Wein, bei dem hat man von neuen Reben auch erst einmal kaum einen nennenswerten Ertrag, und es ist wichtig, den Reben diese Zeit zu geben. Diesen Fluss von Projekten gilt es geschickt zu dirigieren.