Hyundai Europachef Michael Cole über nachhaltige Mobilität

Als Europachef von Hyundai versucht Michael Cole täglich, die Zukunft zu überholen. Das klappt schon ganz gut. Marktführer bei elektrifizierten Autos zu sein, reicht ihm aber noch nicht. Bald will er uns fliegen lassen. Was er damit meint, verrät er im Interview.

Sie sind seit fast vier Jahrzehnten ein überzeugter car guy. Wird Ihnen nicht angst und bange angesichts dessen, was gerade mit der Autoindustrie passiert?
Ich mache mir keine Sorgen, sondern bin begeistert. Über die Jahre habe ich viele Veränderungen erlebt, und die Geschwindigkeit dieser Veränderungen nimmt ständig zu. Die Autoindustrie wird sich in den nächsten zehn Jahren mehr verändern als in den letzten 100 Jahren. Ich will dafür sorgen, dass Hyundai zukunftsfähig bleibt. Wir wollen Weltmarktführer bei den E-Autos werden. Das erreichen wir, indem wir uns auch als Unternehmen ständig verbessern. Vor allem wollen wir nie aufhören zu träumen.

Eine Automarke als Traumfabrik. Wie dürfen wir uns das vorstellen?
Der wirkliche Wandel findet jetzt statt – und er wird sich in den nächsten Jahren noch beschleunigen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie sich die Megatrends auf unser Geschäft auswirken werden. Wir werden uns von einem reinen Automobilhersteller zu einem Anbieter verschiedener Mobilitätslösungen entwickeln. Die Bedürfnisse der Gesellschaft ändern sich, denen müssen wir gerecht werden.

Was werden Sie vermissen, wenn es mal keine Verbrenner mehr geben wird?
Es gibt einige Autos, die sind Ikonen. Ich mag zum Beispiel den Aston Martin von James Bond aus den 60er-Jahren. So etwas gibt es noch nicht mit Elektromotor. Was ich definitiv vermissen werde, ist der Sound: Ich genieße diesen Moment, wenn man auf das Gaspedal tritt und ein schönes, kehliges Dröhnen hört. Es weckt Emotionen. Das wird sich mit den Elektroautos ändern müssen, also brauchen wir vielleicht einen Sound-Generator im Auto, um dieses Gefühl zu erzeugen.

Das allein wird vermutlich nicht reichen, oder?
Als ich vor zwölf Jahren bei der Hyundai Group anfing, sind mir der fortschrittliche Geist und ein Gefühl von Jugendlichkeit, Energie und Enthusiasmus aufgefallen. Dieser Geist und diese Energie haben es uns ermöglicht, in kurzer Zeit zum fünftgrößten Automobilhersteller der Welt aufzusteigen. Er wird auch der Schlüssel zu unserem künftigen Erfolg sein. Wandel sehe ich deshalb nicht als störend für das bestehende Geschäft an, sondern eher als Chance für Neues. Die Entwicklung hin zur Elektrifizierung ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben schnell reagiert, und jetzt haben wir uns vom Fast Follower zum Marktführer für Elektromobilität in Europa entwickelt, sind zudem führend auf dem Markt für Wasserstofffahrzeuge.

Sind Sie nur von Zahlen getrieben, oder wer kann Sie noch beeinflussen?
Meine Kinder inspirieren mich immer noch jeden Tag. Wenn ich sie heute sehe, denke ich darüber nach, was ihnen wichtig ist. Ich glaube nicht, dass meine Generation so bewusst über den Schutz der Welt nachgedacht hat, wie es meine Kinder tun. Sie wollen zu einer besseren Umwelt und einer besseren Welt beitragen. Das hat definitiv auf mich abgefärbt. Ich betrachte die Dinge anders als früher. Ihr Beispiel treibt mich an, Hyundai zu einem nachhaltigen Unternehmen zu machen – nicht nur in Bezug auf die Produkte, die wir herstellen. Wir nennen unsere Mission „Progress for Humanity“.

Was ist für Sie denn überhaupt innovative und intelligente Mobilität?
Den Menschen ein Unterwegssein zu ermöglichen, das ihr Leben einfacher macht, dazu ökologisch und sozial nachhaltig ist. Ihnen schlichtweg mehr Quality time zu bringen.

Hyundai bedeutet „modernes Zeitalter“. Auf welcher Station der Zeitreise befinden wir uns gerade?
Nachhaltige Mobilität nimmt jedes Jahr an Bedeutung zu. In den letzten Monaten ist das noch einmal klar geworden. Dennoch gibt es eine Menge Verbesserungspotenzial. Die Ladeinfrastruktur für Elektroautos ist ausbaufähig, bei Wasserstofftankstellen gilt das umso mehr. Die große Vision lässt sich nur durch eine engere Zusammenarbeit aller Beteiligten verwirklichen. Allerdings sind wir an dem Punkt angekommen, an dem eine Zukunft mit nachhaltiger Mobilität nicht mehr nur eine ferne Vision ist, sondern mehr und mehr Realität wird.

Was muss passieren, damit Wasserstoff alltagstauglich wird?
Mit dem Nexo verkaufen wir bereits unser zweites serienmäßig hergestelltes Wasserstofffahrzeug. Unser erklärtes Ziel ist es, die Entwicklung einer Wasserstoffgesellschaft zu unterstützen. Der Aufbau einer Flotte von Wasserstoff- Lkw in der Schweiz macht dabei Mut. Letztes Jahr wurde dort bereits die Marke von einer Million gefahrenen Kilometern erreicht, angetrieben mit nachhaltig produziertem Wasserstoff. Das ist kein Versuch mehr, sondern ein profitables Geschäftsmodell.

Sie bedienen bei Hyundai derzeit alle Antriebsarten – weil es der Markt so will oder weil Sie auch nicht genau wissen, was am Ende siegen wird?
Wir glauben daran, dass vollelektrifizierte Fahrzeuge und solche mit Brennstoffzellen sich ergänzen. Es gibt Nachfrage für beide Antriebsarten, je nach Mobilitätsbedürfnissen. Nur zusammen können wir die Klimaneutralität bis 2045 erreichen. Bis 2030 wollen wir elf vollelektrische Modelle einführen und weltweit einen Marktanteil von sieben Prozent erreichen und ihn bis 2040 auf zehn Prozent steigern.

Heißt vollelektrisch auch volldigital – adieu, ihr Autohäuser?
Es gibt eine digitale Entwicklung, zum Beispiel haben wir für den neuen Ioniq 5 einen virtuellen Showroom eingerichtet. Dennoch sind wir überzeugt, dass der Gang zum Händler unersetzbar ist. Selbst die besten Online-Tools werden niemals das reale Erlebnis ersetzen können. Die Probefahrten sind nach wie vor eines unserer stärksten Verkaufsinstrumente. Online wird Offline nicht ersetzen, es wird sich vielmehr ergänzen.

Glauben Sie, dass in den nächsten Jahren noch eine ganz andere Antriebsart kommt?
Alles ist möglich! Deshalb konzentrieren wir uns auf eine breite Palette von Antriebssträngen und Zukunftstechnologien, nicht nur auf batterieelektrische und Brennstoffzellen- Elektrofahrzeuge. Wir investieren auch in Urban Air Mobility, Robotik, autonomes Fahren und in nichtautomobile Anwendungen.

Wann kommt denn der erste fliegende Hyundai für die Stadt?
Hyundai will im Jahr 2028 ein vollelektrisches UAM-Modell auf den Markt bringen, das für den innerstädtischen Verkehr optimiert ist. Und in den 2030er-Jahren planen wir eine regionale Luftmobilität, die benachbarte Städte miteinander verbindet. Dazu sind wir daran beteiligt, den Urban Air Port Air-One zu entwickeln. Dies ist ein innovatives Drehkreuz für elektrisch betriebene Senkrechtstarter – wie Lufttaxis und autonome Lieferdrohnen. Dieser Hub kann mit Elektrofahrzeugen und nachhaltigen öffentlichen Verkehrsmitteln kombiniert werden.

Wird nachhaltiges Autofahren immer noch Spaß machen?
Der Elektro-Motorsport wird zu einer der wichtigsten Säulen unserer Sportabteilung. Wir werden uns in Zukunft genauso über neue E-Performance-Modelle freuen, wie wir es bei den Muscle Cars getan haben.

Was ist eigentlich mit der Luxusklasse? In der neuen Mobilität nur noch eine Spielwiese?
Im Gegensatz zu reinen Luxusfahrzeugen setzen wir auf Smart Mobility, die dem Kunden eine vielfältige Nutzung erlaubt. Wir versuchen ständig, die Customer Experience zu verbessern, und orientieren uns daran, die Features der Oberklasse in erschwingliche Klassen zu bringen. Der Ioniq 5 ist das beste Beispiel: Das Interieur ist so gestaltet, dass es mehr die Funktion eines „Living Space“ übernehmen kann als das traditionell gestaltete Interieur eines Autos. Diese Wohnlichkeit ist nicht das exakt Gleiche wie der Luxus von anderen Premiummarken, aber sie verbessert das Raumgefühl enorm.

Sie beschäftigen Topdesigner wie Luc Donckerwolke oder SangYup Lee – geht es künftig wieder mehr um den Look?
In unserer neuen Designphilosophie erhält jedes Modell einen individuellen Stil, ist aber trotzdem sofort als Hyundai zu erkennen. Das passt zu unserer Auffassung, den Menschen einen individuellen Lebensstil zu ermöglichen. Und das progressive, kantige Design des Ioniq 5 ist eine bewusste Abkehr von aktuellen Designnormen. Es schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.