17 Tage kein Land in Sicht

Jan Buese und Jessie Schoeller leben auf ihrer Segelyacht Adhara, einer Contest 48CS. Die Überquerung des Atlantiks hat ihr Zeitgefühl auf die Probe gestellt. Ihre Gedanken vom anderen Ende der Welt.
Jessie Schoeller und Jan Buese vor ihrer Segelyacht Adhara, einer Contest 48CS.

Auf dem offenen Ozean ist alles anders. Da draußen, fernab von Skylines, E-­Mails und Handy­empfang, verabschiedet sich das Gefühl für Zeit. Um uns herum nur Wasser. Manchmal mehr Wolken, etwas weniger Seegang, bisschen mehr Regen, eine Bö – das Auge findet keine geografischen Anhaltspunkte, daher sieht es fern der Küste von England ähnlich aus wie fern der Küste einer karibischen Insel. Ob wir sieben oder 27 Tage unterwegs sind, macht für uns keinen Unterschied. Der Verlust des Zeitgefühls verstärkt sich durch den Schlafmangel. Wir halten ab­wechselnd Wache, wir leben in Schichten von je drei Stun­den. Alle zwei Tage angeln wir einen Fisch. Für uns könnte es ewig so weitergehen. Die einzige Aufgabe: das Boot vorwärtsbringen. Niemand beschwert sich, wir lächeln uns an und übergeben die Schicht: „Wind von achtern, 19 Knoten, keine Regenwolken, kein Schiff. Weck mich, wenn du reffen willst. Gute Nacht!“

An Bord ist alles aufs Minimum reduziert

Jan Buese und Jessie Schoeller genießen die Abgeschiedenheit, die das Leben an Bord mit sich bringt.

„Allein zwischen Himmel und Meer“. Das Buch von Boris Herrmann begleitet uns auf unserer Reise, und der Respekt vor der mentalen Stärke des Profiseglers wächst mit jedem Tag. Seine Reise ging bei der Vendée Globe, der Regatta für Einhandsegler, einmal um die Welt, und das nonstop in 80 Tagen. Für die 2000 Seemeilen unserer Atlantiküberque­rung hätte Boris bei durchschnittlich 16,7 Knoten fünf Tage gebraucht. Bei der Bootsgeschwindigkeit ist die Geräusch­kulisse aber alles andere als entspannt. In seinem Carbon­rennboot trägt Herrmann geräuschunterdrückende Kopf­hörer. Renntrimarane überqueren den Ozean heute in dreieinhalb Tagen. Für uns unvorstellbar. Trotzdem fragen wir uns: Wären wir auch gern schneller unterwegs?

Das Schönste am Hochseesegeln sind die Abgeschiedenheit und das simple Leben an Bord – maximal aufs Mini­mum reduziert. Zwischen den Kapverden und der Karibik sind wir 1852 Kilometer von der nächsten Landmasse ent­fernt. Wir sind also viereinhalbmal weiter weg von festem Boden als die Astronauten in der Internationalen Raumsta­tion. Dieses Gefühl genießen zu können setzt gute Segel­bedingungen voraus. Wenn man in schweres Wetter kommt, wird es beängstigend, und man wünscht sich nichts sehn­licher als einen sicheren Hafen. Möchte man also die Zeit genießen oder mit weniger Risiko schnell an­kommen? Speed bringt enorme Vor­teile: Denn man kann mehr Strecke in weniger Zeit hinlegen. Und weniger Zeit bedeutet weniger Risiko. Außer­dem: Die Welt wird kleiner, und unse­re Reiseträume würden realistischer werden. Wir wären wahrscheinlich längst in Australien angekommen, unser Drei­-Jahres-­Ziel.

Entschleunigung als ultimativer Luxus

Gerade sind wir auf Saint­-Barth und sehen am Horizont die 86 Meter lange Segelyacht Aqui­jo. Wir sahen sie Anfang 2022 schon vor Mustique, als sie mit 16 Knoten an uns vorbeiglitt – und das unter Segeln. In­zwischen war sie im Frühling ins Mittelmeer gefahren und segelte im Herbst wieder zurück in die Tropen. Alles mach­bar mit 16 Besatzungsmitgliedern und einer aufwendigen Technik – da leidet niemand unter Schlafmangel. Unter den Megayachten ist diese Art von Schiffen noch die umweltfreundlichste Option. Ein Trend, der sich auch im Yachtbau zeigt – so ließ sich Jeff Bezos gerade die zweitgrößte Segel­yacht der Welt, die 127 Meter lange Koru, fertigen. Und ob­wohl sich Jeff Bezos eine Yacht für 500 Millionen leistet und wir uns auch manchmal nach mehr Komfort und Geschwin­digkeit auf unseren knapp 15 Metern sehnen, ist der wahre Luxus doch, die schönsten Momente im Seglerleben so lange wie möglich genießen zu können.

Hier können Sie Jan und Jessies Reisen auf Instagram verfolgen.