Jake Dyson im Interview

Die Fußstapfen seines Vaters sind gewaltig, doch vor den künftigen Aufgaben hat Jake Dyson keine Angst.
Jake Dyson im Interview

Die Fußstapfen seines Vaters sind gewaltig, doch vor den künftigen Aufgaben hat Jake Dyson keine Angst. Zudem glaubt er, 20 Jahre in die Zukunft sehen zu können. Darüber sollten wir sprechen:

Unweit des Örtchens Malmesbury, inmitten der englischen zukunftsweisende Hochtechnologie wohl nicht liegen. Vor dem Hauptgebäude mit seinem lang gezogenen, wellenförmigen Dach ist ein senkrecht startender Harrier-Jet aufgestellt. Firmengründer James Dyson hat ihn als Inspiration für die 3500 Ingenieure erworben, die hier arbeiten. Sie tüfteln an Neuentwicklungen oder verbessern bestehende Produkte, wie den Staubsauger, dem sie kurzerhand den Beutel entfernten. An was derzeit gearbeitet wird, unterliegt der Geheimhaltung. Nur ausgesuchte Mitarbeiter haben Zutritt zum Gebäude D9, hinter dessen verspiegelter Glasfassade die jüngsten Projekte Gestalt annehmen. Jake Dyson, James’ Sohn, schlendert gerade vom D9-Gebäude herüber in die Dyson-Kantine, von deren Decke ein weiterer Kampfjet hängt. Jakes Gebaren wirkt alles andere als martialisch. Entspannt lehnt er sich im Stuhl zurück und erwartet die erste Frage.

Herr Dyson, das Prinzip, nach dem Sie und Ihr Vater arbeiten, scheint die Neuerfindung von Dingen zu sein, die wir längst zu kennen glauben. Ist das die Zukunft in einer Welt, in der es schon alles gibt?

Da ist was dran. Wir krempeln jedes Produkt um und finden heraus, was daran nicht richtig funktioniert. Dann versuchen wir, etwas zu designen, das nicht doppelt, sondern im Bestfall fünfmal so gut funktioniert wie das Althergebrachte. Wir doktern nicht am Bestehenden herum, sondern verbessern das Produkt als Ganzes, denken es neu. Im Laufe dieses Prozesses verhelfen uns Wissenschaft, Ingenieurskunst und Innovation oft zu unerwarteten Erkenntnissen. Wir verstecken diese drei Aspekte des Designprozesses nicht, sie werden das Hauptmerkmal der Produkte. Deshalb sehen sie so radikal und anders aus.

Was ist Ihrer Meinung nach das Hauptmerkmal zukunftsweisender Technologien?

Sie sollte vor allem nahtlos mit Menschen interagieren und autonom das tun, was der Benutzer von ihnen erwartet. Vor ein paar Jahren war ja das „Internet der Dinge“ das alles beherrschende Schlagwort. Apple hat diese riesigen App-Banken, für Android-Systeme gilt das in geringerem Umfang auch – alles sollte durch eine App auf einem Smartphone kontrollierbar sein. Nehmen wir das Beispiel der Beleuchtung. Erst mal klingt es toll, das Licht in einem Raum von seinem Telefon aus steuern zu können. Aber eigentlich ist das viel zu umständlich. In der Zeit, in der Sie Ihre App heraussuchen und die „Licht an“-Funktion aktivieren, könnten Sie längst zum Wandschalter gegangen sein und das Licht ganz herkömmlich eingeschaltet haben. Dieses Gefummel auf Touchscreens ist zeitraubend und umständlich. Ich glaube, dass in naher Zukunft vor allem Sensoren dafür sorgen werden, dass unsere Alltagsgeräte uns verstehen und uns das anbieten, was wir im jeweiligen Moment von ihnen wollen.

Ist das nicht beängstigend?

Es gibt berechtigte Datenschutzbedenken, wenn es um Geräte mit Wi-Fi-Verbindung geht. Aber ich finde es weniger beängstigend, wenn man ein Produkt hat, das vom Nutzer lernt und umgekehrt, mit dem man also instinktiv interagiert, als von einem Interface abhängig zu sein, das jemand anderes designt hat und dessen genaue Funktionsweise man nicht versteht.

Wie viele Menschen, die Sie treffen, assoziieren Ihren Namen mit beutelfreien Staubsaugern?

Wenn ich mir ein Taxi über eine App bestelle, die natürlich meine Details an die Fahrer weitergibt, fragen sie mich oft: „Haben Sie irgendwas mit dieser Staubsaugerfirma zu tun?“ Ich sage dann gern: „Nein, überhaupt nicht.“ Lustigerweise heißt meine Nachbarin in London, mit der ich weder verwandt noch verschwägert bin, auch Dyson. Es ist kein sehr häufiger Name, aber meistens kann man sich ziemlich unerkannt unter dem Radar bewegen.

Sie haben Industriedesign am Londoner Central Saint Martins College studiert und gründeten 2004 eine Leuchtenfirma, weil Sie, wie Sie sagten, „frustriert“ waren von dem, was auf dem Markt angeboten wurde. Hat sich daran etwas geändert?

Im Eingangsbereich der Firma steht zur Inspiration eine Rolls-Royce/Snecma Olympus 593. Mit diesen Turbinen wurde die Concorde angetrieben.

Nein, das gilt für einen Großteil des heutigen Angebots noch immer. Die Hersteller von High-End-Leuchten achteten nicht genug auf den technischen Aspekt ihrer Produkte. Sie machten vor allem attraktive Objekte – Skulpturen, wenn Sie so wollen. Die effizientere Nutzung von Lichtquellen steht dabei selten im Vordergrund. Das zu ändern war meine Motivation. Zum Beispiel gab es so gut wie keine Produkte, die indirekte Beleuchtung ermöglichten. Man musste sich schwarze Röhren kaufen, die man dann mit Glühbirnen bestückte und hinter Zimmerpflanzen versteckte. Das Licht, das sie abgaben, war entweder sehr konzentriert oder sehr diffus, aber nichts dazwischen. Die erste Leuchte, die ich mir patentieren ließ, war der Motorlight-Deckenfluter mit einer eingebauten Optik, mit der man die Abstrahlungswinkel des Lichts regulieren konnte.

Später haben Sie dann Ariel entwickelt, eine Leuchte mit 180 000 Jahren Brennzeit. Warum so lang?

Ich war diese Wegwerfkultur bei Leuchtkörpern einfach leid. Die erste Glühbirne, die Ende des 18. Jahrhunderts gebaut wurde, sollte 100 Jahre halten. Aber dann entschied Mitte der 20er-Jahre das sogenannte Phoebus-Kartell, zu dem alle großen Leuchtmittelhersteller der Welt gehörten, dass keine Glühbirne länger als 1000 Stunden Lebensdauer haben dürfte – sie wollten ja immer neue verkaufen. Mit LED-Leuchten begann ich mich zu befassen, als diese alten Glühbirnen abgeschafft wurden. Und ich stellte fest, dass LEDs ebenfalls Wegwerfgegenstände waren. Anders als andere Hersteller, die LEDs einfach kaufen und in ihre Produkte einbauen, erforschte ich ihre genaue Funktionsweise und konnte so eine weitaus langlebigere Leuchte entwickeln. Einfach gesagt: Wenn man eine LED-Leuchte kühlt, verliert man weniger Energie und Leuchtkraft über Hitzeentwicklung, das Licht hat einen gleichbleibenden Farbton, und sie leuchtet viel länger.

Man denkt bei Dyson nicht als Erstes an den Begriff Luxus, eher an innovative Haushaltsgeräte. Was ist für Sie Luxus?

Schauen Sie sich nur mal die Eames-Stühle an, auf denen wir hier sitzen. Sie wurden in den 40er-Jahren designt, sehen noch immer fantastisch und zeitgemäß aus und tauchen regelmäßig in den Top Ten der besten Designs auf. So etwas ist eine Investition fürs Leben. Das gilt für Mobiliar, für kostbare Uhren – warum also nicht für Beleuchtung? Ein weiterer Luxus, wenn Sie so wollen, ist übrigens die Unabhängigkeit von Designänderungen, für die sich ein Hersteller entscheidet und über die man keine Kontrolle hat. Wenn Sie etwa eine Anglepoise- Schreibtischlampe haben, dann können Sie darin keine der neueren Glühbirnen verwenden, weil das Design nicht auf deren höheres Gewicht eingestellt ist – sie kippt einfach nach vorn. Wir designen alles selbst, von der Elektronik bis hin zur Hardware.

Warum sind Sie 2016 wieder zur Firma Ihres Vaters zurückgekehrt?

Ich habe mit meinem Vater im Laufe der Jahre immer wieder darüber gesprochen, wie man sicherstellen kann, dass Dyson ein Familienunternehmen bleibt – daran ist mir genauso sehr gelegen wie ihm. Man kann weit in die Zukunft planen, statt auf die kurzfristigen Erwartungen von Aktionären Rücksicht nehmen zu müssen. Es war großartig, mein eigenes Business in London zu haben. Ich reiste um die ganze Welt und bekam viel Anerkennung für mein Leuchtendesign. Gleichzeitig verzeichnete Dyson kräftiges Wachstum. Ich habe das Unternehmen meines Vaters immer sehr aufregend gefunden, weil es hier diese Freiheit gibt, neue Produkte zu entwickeln: Airblades, Ventilatoren, Luftreiniger, zuletzt den Supersonic-Haartrockner. Dyson zeigte Interesse an meinen Lichtkonzepten als Ergänzung besonders zu dieser professionellen Seite des Geschäfts. Das Unternehmen hat mehr Kapazitäten, meine Ideen umzusetzen, und ich fand es sehr reizvoll, auch an anderen Produkten zu arbeiten.

Sie pflegen demnach ein sehr ausgeglichenes Verhältnis zu Ihrem Vater?

Ja, es ist ein sehr gesundes, inniges Miteinander. Wir sitzen pro Woche zwei Tage lang gemeinsam in Meetings, dann gehen wir wieder eine Weile unserer eigenen Wege, treffen uns wieder, tauschen uns aus. Es ist beeindru­ ckend, wie er mit jungen Ingenieuren umgeht. Ich sehe, wie er arbeitet, und umgekehrt.

Mit dem Dyson Institute of Technology, das derzeit auf dem ehemaligen Militärflughafen Hullavington nahe Ihrer Firmenzentrale in Malmesbury entsteht, versuchen Sie, für Ihren eigenen Nachwuchs zu sorgen. Kann man Kreativität züchten?

Der Übergang verbindet zwei Gebäude auf dem Dyson Campus, gestaltet vom Londoner Architekturbüro Wilkinson Eyre.

Es mangelt uns nicht an Ideen, und unsere Zukunfts­ pläne sind sehr ehrgeizig. Woran es mangelt, ist Inge­ nieursnachwuchs. Also haben wir hier auf unserem Campus ein Ausbildungszentrum gebaut, das bereits voll ist. Demnächst beginnt der Bau auf dem Hullaving­ ton Airfield. Wir lassen in Singapur und Malaysia fertigen, aber unser Schaltzentrum ist hier in Wilt­ shire, und wir wollen unsere Ingenieure vor allem in Großbritannien rekrutieren. Es ist also nur folgerichtig, sie selbst – ich hätte fast gesagt: herzustellen. Aber was wir tun, ist natürlich, eine Gruppe sehr guter, erfah­ rener Ingenieure von der Pike auf auszubilden, die hoffentlich auch in Zukunft für uns arbeiten. Und ich habe den Eindruck, dass sich die Studenten von un­ serem Arbeitsklima und unserer Leidenschaft für Innovation sehr angezogen fühlen. Sie lernen an Pro­ jekten, die in Produktion gehen sollen. Diese Gele­ genheit bekommt man in wenigen anderen Ingenieurs­ studiengängen.

Ihr Vater war einer von sehr wenigen aus der ersten Riege britischer Unternehmer, die sich für das Verlassen der EU aussprachen. Wie wird sich der Brexit Ihrer Meinung nach auf das Vereinigte Königreich und auf diese Firma auswirken?

Für uns heißt es: Business as usual. Wir expandieren weltweit. Gerade der asiatische Markt ist für uns extrem wichtig, weil wir dort auch produzieren. Dieser Bereich wird vom Brexit überhaupt nicht betroffen sein. Mein Vater hat persönliche Gründe dafür, nicht in der EU bleiben zu wollen. Aber das hat nichts mit unserer Firma und unseren Zukunftsplänen zu tun.

Können Sie uns irgendetwas über Produkte verraten, die gerade in Arbeit sind?

Netter Versuch. Wir präsentieren sie, wenn sie fertig sind. Allgemein gesprochen bleiben wir dadurch zukunftsfähig, dass wir uns immer neue Bereiche vor­ nehmen. Dyson hat es sich nie zum Ziel gemacht, den Markt „aufzumischen“ – aber genau das ist wieder und wieder das Resultat unserer Arbeit gewesen. Bis vor ein paar Jahren hat Dyson fünf Jahre in die Zukunft geplant. Jetzt, und daran hatte auch ich einen Anteil, planen wir für die nächsten 20 Jahre. Die Entwicklung unserer digitalen Motoren hat zehn Jahre gedauert – und jetzt sind es die besten der Welt. So etwas kommt nicht über Nacht – muss es ja aber auch nicht.

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